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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Mönch Versuche, mit den anderen Bewohnern ins Gespräch zu kommen.
    Enene sah in die Weite der Savanne hinaus. Am Horizont waren die Häuser von Lagos zu erkennen, doch davor lagen einige Kilometer Öde. In einem Gürtel rund um die Metropole herum war in den letzten Jahren viel Abholzung betrieben worden.
    Er musste an die Worte seines Kommilitonen Georg Jergowitsch denken. Georg hatte von einem Mann namens Philipp Poster berichtet, der eine besondere Fähigkeit besaß: Er konnte Menschen so beeinflussen, dass einzelne Instinkte die Oberhand über ihre Persönlichkeit gewannen. Die Kellerwände seines Hauses hatte Poster mit Bildern bemalt, die die Schatten zeigten. Er schien sich vor ihnen zu ängstigen, schien zu befürchten, dass sie zurückkehrten. Als Georg den Mann fragte, woher er seine besondere Kraft bezog, hatte er auf diese Bilder gezeigt.
    Gehörte Philipp Poster zu den Menschen, die von den Schatten entführt und verändert worden waren?
    Gedankenverloren setzte Enene seinen Spaziergang fort, bis ihn plötzlich ein Ruf aus seinem Grübeln riss. Bruder Quirinius kam mit großen Schritten vom Dorf her auf ihn zu.
    „Sie müssen sich etwas ansehen, unbedingt!“, rief der Mönch.
    Interessiert lief Enene hinter dem unförmigen Mann her.
    „Es ist Rupe“, erklärte Quirinius mit einer Erregung, die ungewöhnlich für ihn war. Enene wurde durchs Dorf geführt, zu der Wellblechhütte, in der sich Rupes Käfig verbarg.
    „Was ist?“, fragte Enene ungeduldig. „Sie wird doch nicht entwischt sein?“
    Aber die hübsche Frau mit dem üppigen Körper und der nackten, tierischen Wildheit befand sich noch in ihrem Gefängnis. Die Zähne gefletscht hockte sie in der Mitte des Käfigs, rollte mit den Augen und zischte ihn an. Der tiefe Kratzer auf seiner Brust schien von neuem zu schmerzen, wenn ihre Krallen aufblitzten. Enene konnte keine Veränderung an ihr feststellen.
    „Da!“, sagte Quirinius. „Vor ihr auf der Erde! Ich danke dir, Gott, dass es noch da ist.“
    Enene kniff die Augen zusammen. In dem Staub, in dem sie kauerte, lag etwas Weißes. Es war ein Stück Papier, beschmutzt und zerknickt, ein ungeschickt abgerissener Fetzen, und er hätte ihn keines Blickes gewürdigt, hätte der Mönch nicht mit einem dünnen ausgestreckten Finger darauf gezeigt. Vorsichtig näherte er sich den Gitterstäben, bereit, jeden Moment zurückzuzucken, falls Rupe einen Satz in seine Richtung machte.
    Auf dem Papier stand etwas geschrieben: 5° 49’ 12’’ E.
    Darunter stand noch etwas anderes, das auf den Buchstaben N endete. Das Papier war an dieser Stelle eingeschlagen, so dass dieser Teil nicht richtig zu erkennen war.
    Das mussten geographische Angaben sein – Länge und Breite in Grad, Minuten und Sekunden. Das E stand für östliche Länge, das N für nördliche Breite.
    „Mir scheint, Sie haben einen heimlichen Freund hier“, bemerkte Bruder Quirinius. „Jemanden, der möchte, dass Sie finden, was Sie suchen.“
    Den Stützpunkt der Schatten! Enenes Herz schlug schneller. Der Mönch hatte Recht. Irgendjemand im Dorf teilte Kulas Meinung nicht, dass den Fremden die Lokalität vorenthalten werden sollte. Diese Person hatte ihm die Information zukommen lassen – anders ließ sich der Zettel mit den Zahlen nicht erklären. Aber warum lag das Papier ausgerechnet in diesem Käfig, bewacht von einer gefährlichen Bestie? Dass Rupe die Nachricht in einer klaren Phase selbst verfasst hatte, war wohl auszuschließen.
    Nein, es konnte auch anders gewesen sein. Jemand hatte vielleicht versucht, ihm oder dem Mönch den Zettel zuzustecken, Kula war dahintergekommen und hatte die Nachricht kurzerhand in Rupes Käfig geworfen, wo er sie sicher glaubte.
    Aber alles Mutmaßen half nichts. Er musste an das Papier kommen.
    Die Frau funkelte ihn an. Aus ihrem Mund lief ein Speichelfaden. Ihre Brüste mit den großen schwarzen Spitzen schwangen sanft hin und her, wenn sie sich voller Unruhe bewegte. Komm rein , schienen ihre dunklen Augen sagen zu wollen. Ihre gebleckten Zähne ließen keinen Zweifel daran, dass ihre Absichten fleischlicher Natur waren – und das nicht im übertragenen Sinne. Konzentriert berührte Enene die Gitterstäbe mit den Händen. Sie waren rau vom Rost, vielleicht auch von getrocknetem Blut.
    Rupes Atem ging hörbar. Sie stieß ein gutturales Knurren aus, näherte sich ihm. Der Zettel verschwand beinahe unter ihrem Körper, war nun kaum mehr zu sehen. Enene streckte seine rechte Hand in den Käfig

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