Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
Rupe gegen das Gitter. Mit einer Hand hielt er den Stock, den freien Arm schob er zwischen den Gitterstäben hindurch, erreichte den Zettel … beinahe. Seine Zähne waren zusammengebissen, Schweiß perlte in riesigen Tropfen aus seinen Poren. Mit der Kraft beider Arme hatte er die Frau gerade noch in Schach halten können, doch jetzt bekam sie die Oberhand. Mit einem heftigen Hieb schlug sie von der Seite gegen den Stock und zerbrach ihn. Auch ihr Hals hatte dabei einen Schlag aushalten müssen, und es war sicher der Schmerz, der sie auf die Knie fallen ließ. Ihre Augen beschrieben einen Kreis, dann fokussierten sie wieder.
    Direkt vor ihr, zum Greifen nahe, lag Enenes Hand in ihrem Käfig. Dem Mann fehlten noch fünf Zentimeter bis zu dem Papier. Hinter ihm waren die Dorfleute herangekommen. Einer von ihnen schlug mit einem Prügel auf ihn ein, der andere zog an seinen Beinen.
    Ihm blieb nichts übrig, als der Todesgefahr ins Auge zu sehen.
    Mit einem unmenschlichen Brüllen riss er seinen eigenen Körper nach vorne gegen das Gitter und wuchte damit seine Schulter zwischen den Stäben hindurch. Eigentlich war der Zwischenraum dafür nicht groß genug, doch mit roher Gewalt funktionierte es. Seine Finger erreichten den Zettel, verkrampften sich um ihn und würden ihn nicht mehr loslassen, solange noch ein Funken Leben in ihm war. Rupe schlug ihre Krallen in den Unterarm. Enene schrie, und er unterbrach sein Schreien nur, um Luft zu holen. Und um zu fluchen, was er sonst niemals tat.
    Diesmal stieß er sich von dem Käfig ab. Es fühlte sich an, als würde er versuchen, sich selbst in Einzelteile zu zerlegen. Sein Schultergelenk loderte in einem Meer von Schmerzen – trotzdem gelang es ihm nicht, es zwischen den Stäben herauszudrehen.
    Die Fingernägel Rupes drangen tief in sein Fleisch. Blut sprudelte hervor. Im hellen Sonnenlicht sah er es deutlich: Die Frau öffnete den Mund, bereit, ihre Zähne in seinen Arm zu schlagen.
    Wenn sie das tat – darauf konnte er Gift nehmen – würde sie einen Happen herausbeißen.
    Noch einmal versuchte er sich zu befreien, doch er war zu schwach.
    Was ihn schließlich rettete, waren die wütenden Dorfbewohner. Zwei von ihrer Sorte zogen an seinen beiden Beinen, und das so ungestüm und rücksichtslos, dass ihm der Arm ausgekugelt wurde. Glücklicherweise rutschte er dabei zwischen den Stäben hindurch.
    Rupe klapperte wutschäumend am Gitter. Als sie sich beruhigte, leckte sie sich sein Blut von den Fingern. Es schien ihr zu schmecken.
    Was danach kam, war ein Albtraum für sich. Zunächst stand das schmerzhafte Einrenken des Schultergelenks auf dem Programm. Der erboste Kula ließ sich nicht davon abbringen, ihm diesen kleinen Gefallen höchstpersönlich zu erweisen. Danach folgten umständliche Erklärungen und Entschuldigungen. Obwohl Enene am Ende seiner Kräfte war, machte er allen klar, dass er die Zahlen auf dem Zettel gelesen hatte und sie ihn töten mussten, wenn sie wollten, dass er sie wieder vergaß.
    „Sie sind ein Dickkopf“, meinte Kula nach langem, brütendem Nachdenken. „Wir werden Sie nicht von Ihrem Vorhaben abbringen. Ein wenig ist es ja auch unsere Schuld, dass Sie nun die Position kennen. In unserer Reihen gibt es jemanden, der zu Ihnen hält. Vielleicht wäre es besser, wenn wir Ihnen Verstärkung mitgeben würden. Damit haben Sie wenigstens eine Überlebenschance.“
    Was er darunter verstand, wurde gleich darauf deutlich. Kula erklärte sich bereit, Enene zwei kräftige Männer mitzugeben. Außerdem hatte er Waffen. Neben einem kleinen Revolver waren das zwei der bekannten Kalaschnikow-Schnellfeuergewehre. Enene entsann sich, einmal gelesen zu haben, dass stolze 100 Millionen Exemplare dieser AK-57-Gewehre weltweit im Umlauf waren. In manchen afrikanischen Ländern sah man sie beinahe täglich.
    Er staunte nicht schlecht über die plötzliche Hilfsbereitschaft des Mannes mit der breiten Nase.
    Doch dieses Erstaunen war nichts im Vergleich zu dem, das noch auf ihn zukam.
    Kurz bevor sie aufbrachen, hatte Kula nämlich eine Idee.
    „Sie werden mehr brauchen als Muskeln und Waffen. Sie brauchen Instinkt. Eine Spürnase. Sie brauchen jemanden, der Gefahr riechen und Fluchtwege spüren kann.“
    „Das klingt gut“, sagte Enene skeptisch. „Und Sie haben jemanden, der diese Eigenschaften mitbringt?“
    „Habe ich“, erwiderte Kula. Dann zeigte er auf die Stelle, wo das umgekippte Wellblech herumlag. Hinter den Gitterstäben war das blutverschmierte

Weitere Kostenlose Bücher