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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 13 Tiefer als du denkst

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 13 Tiefer als du denkst

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 13 Tiefer als du denkst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Kartoffelchips nicht auf die Angel hereinfallen würden. In seinem ganzen Leben war es ihm nie gelungen, Chips durch gutes Zureden, Tappen mit dem Finger oder Wackeln mit dem Kopf aus der Tüte zu locken. Er hatte es versucht, ja, aber stets ohne Erfolg.
    Hier war es anders. Die aufgequollene Masse zog sich zusammen, ballte sich und glitt auf das glimmende Ende zu. Michael, der eben noch gebeugt vor dem Aquarium gestanden hatte, ging auf die Knie und brachte sein Gesicht nahe an die Scheibe. Der Anglerfisch wartete einen Moment, bis das gelbe, schwammige Etwas sich ganz klein gemacht und um den Lichtpunkt herum verfestigt hatte, dann ließ er die Angel wegschnippen, riss das Maul auf dreifache Größe auf und verschlang seine Nahrung mit einer blitzartigen Bewegung, die Michael diesem trägen, antriebslosen Etwas niemals zugetraut hätte. Die Masse verschwand zuckend wie ein lebendes Wesen im Schlund des Anglers. Die stumpfen Augen des Fisches blickten teilnahmslos wie immer in das Zwielicht des Aquariums. Keine Befriedigung über den gelungenen Beutefang war in ihnen zu erkennen.
    Michael atmete tief durch, versuchte über das nachzudenken, was er eben beobachtet hatte, doch seine Gedanken entschlüpften ihm und flohen in alle Richtungen davon. Unter Komprimierung hatte er sich etwas anderes vorgestellt. Diese Komprimierung verkleinerte nicht, sondern wandelte eine Substanz in eine vollkommen andere um.
    Er musste mehr davon sehen!
    Eine Schachtel und Tüte nach der anderen riss Michael auf, stopfte Schokoriegel, Karamellbonbons und Erdnüsse (mit und ohne Öl geröstet) in die Futteröffnung, drückte immer wieder den Knopf und wartete wie versteinert, was damit geschehen würde.
    Es war jedes Mal ein wenig anders und doch immer gleich. Formlose, kalorienreiche Geschöpfe wurden von der Maschinerie ins Wasser abgegeben. Sie hatten unterschiedliche Farben, unterschiedliche Konsistenzen und Strukturen. Am beeindruckendsten nahmen sich die Karamellbonbons aus: dunkle, blubbernde Wesen von der Form riesiger Amöben. Sie alle ließen sich von dem Licht der Angel anlocken und wurden verspeist.
    Michael entging nicht, dass der zweite Fisch in der Tiefe des Aquariums unruhig wurde. Und plötzlich – als die Apparatur das ins Wasser spuckte, was von einer halben Packung Popcorn übriggeblieben war –, schnellte der schlanke, hässlich-schöne, irisierende Körper hervor, schnappte mit seinen gebogenen Zähnen zu und zerfleischte das weiße Geschöpf, das nach nassem Schimmel aussah.
    Wie von Sinnen schaufelte Michael Nahrung nach. Gott, was hatten diese armen Teufel für einen Hunger! Niemand auf dieser Welt verstand so gut wie er, was es bedeutete, Hunger leiden zu müssen. Er musste sie retten, musste sie sättigen. Es war wundervoll zuzusehen, wie sich seine Nahrung in ihre verwandelte, wie ihre abwartende, ungesunde Zurückhaltung in frische, muntere Jagdlust umschlug. Er hatte nie gesehen, wie Salzstangen getötet wurden. Er hatte nie zu hoffen gewagt, es einmal miterleben zu dürfen.
    Das Innere des Aquariums füllte sich mit bizarren, nie gesehenen Lebensformen. Sie flossen ineinander über, verhedderten und verstrickten sich. In dem Gewirr aus Zähnen und Angeln hatten sie keine Überlebenschance. Und der Hunger der Bestien schien größer zu werden, je mehr sie fraßen. Michael verstand das. Ihm ging es nicht anders.
    Hinter dem Glas breitete sich das Chaos aus. Immer wilder wurden die Kämpfe, immer größer die aufgerissenen Mäuler der Fische, immer verwirrender der Kampf ums Überleben, und manchmal sah es aus, als würden die komprimierten Nahrungsmittel die Oberhand gewinnen und ihrerseits erste Angriffe auf die Wesen starten, die in der Nahrungskette über ihnen standen.
    Ein gähnender Felipe Diaz kam an der Fernsehnische vorbei und achtete nicht auf Michael. Das Geschehen im Aquarium spielte sich vollkommen lautlos ab, und da der Lateinamerikaner bewusst nicht hinsah, bekam er nichts davon mit.
    Michael war wie hypnotisiert von dem Wirbel aus Farben und Formen. Er griff nach einer Anderthalb-Liter-Flasche Cola und füllte die Vertiefung über der Futterklappe bis zum Rand mit dem süßen Getränk. Die Apparatur sprühte es nach wenigen Sekunden mit schlürfenden Geräuschen als schwarze Schlieren ins Innere des Behälters. Das Schmatzen wurde lauter und hektischer, je mehr Michael nachgoss. Die Fische schienen irritiert, schnellten herum, prallten wie von Panik erfüllt gegen die Wände und gegen die

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