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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 13 Tiefer als du denkst

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 13 Tiefer als du denkst

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 13 Tiefer als du denkst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Hände in die Bücher, auf der Suche nach Halt. Immer mehr davon riss er heraus, ohne es überhaupt zu bemerken. Er näherte sich der Tür, doch er schaffte es nicht, dorthin zu sehen. Er konnte den Blick nicht von dem Wesen auf dem Fußboden nehmen. Das bläuliche Linoleum schimmerte nass, als würde es sich im nächsten Moment in die Fluten des Ozeans verwandeln. Wenn dies geschah, würden die Regale wegsacken und im Wasser schwimmen wie die Wrackteile eines gesunkenen Schiffes. Er, Georg, würde sich daran festzuhalten versuchen, während irgendwo unter ihm dieses Wesen kreiste, das mehr mit einem Fisch gemein hatte denn mit einem Menschen ...
    Er hatte tatsächlich Angst davor, dass dies geschehen würde!
    „Sie machen uns wirklich viele Umstände“, war plötzlich die Stimme des Antiquars zu vernehmen. „Ich bin kein Techniker, aber vielleicht gelingt es mir, diese Apparatur hier ...“
    Georg warf sich herum und sah, dass der Alte an der Tür stand und am Schloss hantierte. Der Antiquar stützte sich auf einen Stock, und sein gequältes Atmen verriet, welche Anstrengung es ihn gekostet hatte, den Weg vom Schreibtisch her zurückzulegen.
    „Nein! Ich gehe!“, brachte Georg hervor. „Lassen Sie mich durch. Ich ...“
    In diesem Augenblick gab das Türschloss ein klackendes Geräusch von sich. Gleichzeitig verschwand der Buchladen mit seinen dunklen Regalen, als hätte es ihn nie gegeben. Es dauerte nicht einmal eine Sekunde. Der Übergang schien beendet zu sein, ehe er begonnen hatte. Irgendetwas stimmte mit seinen Sinnen nicht.
    Georg sah sich um.
    „Was ist das?“, hauchte er ungläubig.

4
    Georg Jergowitsch befand sich in einem grünlichen Raum, der so groß zu sein schien wie die Lobby eines riesigen Hotels. Doch mit einem Hotel hatte diese Halle nichts zu tun. Das Interieur schien einem Albtraum der bizarreren Sorte zu entstammen.
    In mehreren Reihen saßen Männer und Frauen an Tischen und bedienten eine Art Computer. Soweit entsprach es noch dem, was Georg nachvollziehen konnte. Doch da begannen schon die grauenhaften Unterschiede: Obwohl die Tischreihen dort, wo er stand, parallel zu verlaufen schienen, ganz ähnlich wie die Regale des Antiquariats, in dem er sich eben noch befunden hatte, krümmten sie sich umso mehr, je weiter sie von ihm entfernt waren. Doch sie krümmten sich zu Formen, die er nicht hätte beschreiben können – zu unnormalen, nicht-euklidischen Formen.
    Anstelle von Computerterminals, wie er sie kannte, wuchsen warzige, knotige Gebilde aus dem Tisch, und jedes davon verfügte über ein einziges milchig-weißes Auge von der Größe eines Medizinballs. Über die Oberfläche dieses Auges huschten unablässig graue Symbole. Die Menschen, die diese organischen Computer bedienten, taten dies, indem sie mit den Händen an den Rändern der Augen entlang fuhren, die grünlich-grauen Lider massierten und manchmal sogar mit den Fingern darunter fuhren. Nur ein oder zwei Zentimeter. Nicht tiefer.
    Fußboden und Decke des Raumes bestanden aus einem dichten Geflecht, das aussah, als wäre es aus kristallisierten Seesternen zusammengesetzt, oder aus anderen tentakelbehafteten Lebewesen. Er musste an Versteinerungen urzeitlicher Lebensformen denken – doch je länger er hinsah, desto weniger konnte er sich vorstellen, dass diese Geschöpfe jemals unsere Erde bevölkert hatten.
    Georg stand am einen Ende dieser Halle. Er hätte nicht sagen können, wonach es hier mehr roch: nach Schlick und Seetang oder nach Ozon.
    „Was tun Sie hier?“
    Eine hagere Frau hatte sich erhoben und ihre Hand auf seine Schulter gelegt. Ihre Hand, die eben noch eines dieser schleimigen Augen berührt hatte. Die Frau war sehr jung, fast noch ein Kind, doch ihre Haut hatte um die Augen herum eine poröse, brüchige Konsistenz bekommen. Ihre Lippen waren beinahe von violetter Färbung. Sie sah krank aus, aber auf eine Weise, wie Georg es nie gesehen hatte.
    „Wie kommen Sie hierher?“, fragte sie. „Sie gehören nicht in diese Ebene ...“
    Der Student holte tief Luft und trat einen Schritt zurück, so dass die Frau ihre Hand von ihm nehmen musste. „Ich verstehe selbst nicht ... wo ... wo bin ich? Können Sie es mir nicht sagen?“
    „Ebene eins“, erwiderte sie. Ihre Augen waren gerötet, aber es waren menschliche Augen. Sie konnten blinzeln, taten es sogar ununterbrochen. Sie wirkte wie jemand, der zu lange auf einen Bildschirm gestarrt hatte. Viel zu lange. Tagelang vielleicht, ohne zu schlafen.

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