Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X
übersehen – seine Verfolger aus dem Jenseits würden ihn finden, und wenn es soweit war, durfte er keine Menschen um sich haben. Er wollte niemanden gefährden. Das war auch der Grund, warum er unter keinen Umständen nach Falkengrund zurückkehren konnte, auch wenn er täglich mit dem Gedanken spielte.
Es war verlockend. All die Bücher in der Bibliothek, die Rat und Schutz verhießen. Die Kollegen, die vielleicht sogar Versuche unternehmen würden, ihn zu verteidigen. Und sich damit ebenfalls zur Zielscheibe der Geister machten. Wenn die Glücksträhne, mit der er in letzter Zeit gesegnet war, weiter anhielt, würde die gesamte Studentenschaft binnen kürzester Zeit zu Todfeinden der Geisterwelt geworden sein – wie er selbst es war.
Dieses Risiko würde er nicht eingehen.
Die Welt war eine verbotene Zone für ihn geworden.
Noch ließ man zu, dass er wie ein streunendes Tier durchs Diesseits irrte, aber seine Tage waren gezählt. Er hatte die Seelen der Toten benutzt und gedemütigt wie ein törichter, anmaßender Nekromant, hatte die Verstorbenen zu seinem eigenen Nutzen zurückgerufen.
Er war nicht mehr der Sir Darren Edgar, der er einst gewesen war – ein Mann voller Ehre und unumstößlicher Prinzipien. Die moralischen Maßstäbe, an denen er andere Menschen gemessen hatte, hatte er für sich selbst gebrochen und alles, was ihm wichtig gewesen war, mit Füßen getreten. Erst im Nachhinein sah er mit erbarmungsloser Klarheit, wie weit seine Vergehen reichten.
Und doch war etwas in ihm, das ihm verbot, seinen Kopf schon auf den Henkersklotz zu legen. Sich jetzt dem Gericht zu unterwerfen und seinen Tod als gerechte Strafe zu akzeptieren, bedeutete, jede Chance wegzuwerfen, seine Vergehen wieder gutzumachen.
Dazu war er nicht bereit.
Noch nicht.
Von Kiefersfelden aus ging er zu Fuß weiter. In Erfurt hatte er seine Konten geplündert und seine Kreditkarten ausgereizt. Nun trug er zwei dicke Büschel Euroscheine in der Tasche. Mit dem Geld konnte er um die halbe Welt reisen und monatelang untertauchen.
Ein sinnloses Unterfangen.
Es gab kein Tor ins Jenseits, von dem man weglaufen konnte. Tore ins Jenseits waren überall. Jeder Mensch trug sein eigenes in sich.
Es war September, die Nächte noch immer warm, und er hatte einige davon im Freien verbracht. Dennoch zog es ihn zu der Bequemlichkeit eines Zimmers hin, eines Bettes, eines heißen Tees am Morgen. Er hatte zwei Pensionen besucht und das vorübergehende, illusorische Gefühl der Geborgenheit genossen, das sie in ihm weckten. Doch wenn er nach einer unruhigen, mit Albträumen gespickten Nacht in die Augen der jungen Leute blickte, die ihm das Frühstück brachten, spürte er eine Übelkeit in sich aufsteigen. Die Lebensfreude, die sie ausstrahlten, ängstigte ihn. Er wollte nicht zusehen müssen, wie sie eisigem Grauen wich, wenn der distinguierte britische Sir vor ihren Augen von einer Schar kalter Geister attackiert wurde.
Wie würden sie ihn töten?
Würde es ein offener Angriff werden, oder lockten sie ihn mit List in eine Falle? Würden sie andere Menschen opfern, um ihn zu bekommen, oder warteten sie geduldig ab, bis er alleine war?
Ja, schaufelte er sich nicht sein eigenes Grab, wenn er andere Menschen mied?
Die bergige Gegend setzte ihm zu. Er wanderte, und das einzige Ziel seiner Wanderung war, Ruhe zum Nachdenken zu finden. Wenn er nur seine Bücher zur Hand gehabt hätte! In München hatte er eilig zwei Antiquariate durchstöbert, aber nichts gefunden, was ihm einen Kauf wert gewesen wäre. Bücher, die einen Menschen vor seinem gerechten Schicksal zu bewahren vermochten, lagen nicht auf der Straße. Falls es solche Bücher überhaupt gab …
Sir Darren folgte dem Lauf eines Flusses durch ein malerisches Tal und passierte mehrere Dörfer. Er gab sich alle Mühe, die Namen und Örtlichkeiten wieder zu vergessen. Sobald er sich längere Zeit an einem Ort aufhielt, war es ihm, als zögen sich Gewitterwolken über ihm zusammen. Wenn er weiterging, lösten sie sich wieder auf.
Er setzte sich abseits der Dörfer auf eine Bank, trank einen Schluck Mineralwasser und aß einen von den Äpfeln, die er am Vortag eingekauft hatte. Es war Sonntag, nach zwölf Uhr mittags, und er überlegte, ob er im nächsten Dorf ein Restaurant besuchen sollte.
Als er aufstand und sich ein wenig umsah, fiel sein Blick auf eine Holztafel im Schatten eines Baumes. Die Stange, auf der sie angebracht war, war so morsch, dass sie sich gegen den Baumstamm
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