Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X
schweißgebadetes, zitterndes Mädchen voller Angst. Mit seiner Skepsis fügte er ihr wahrhaftig ein Vielfaches mehr an Qualen zu, als es ihr kleiner verbaler Ausrutscher rechtfertigte.
„Die Kirche“, murmelte er.
„Gehen Sie durch den Nebeneingang an der Seite des Turms“, sagte Veronika hastig. „Falls einer von den falschen Leuten in der Kirche ist, wird er Sie sehen, wenn Sie durch das Hauptportal am Ende des Kirchenschiffs kommen.“
„Wie erkenne ich die falschen Leute?“
„Alle, die keinen Talar tragen, gehören zu ihnen.“
„Das klingt nach einem ungleichen Kampf.“
„Meine ganze Hoffnung liegt schwer in Ihren Händen“, sagte sie und drehte sich von ihm weg.
Das war ihr Glück. Wenn sie ihm als Untermalung zu diesen Worten noch einmal ihren Busen gezeigt hätte, hätte er die Sache abgebrochen. Ketten hin oder her. Er war kein Mann, der sich auf dieser Schiene locken ließ.
Dazu war er zu intelligent.
Zu welterfahren.
Zu sehr Brite.
4
Veronika bestand darauf, dass er die Tür ihres Gefängnisses von außen abschloss und die Schlüssel wieder an die Haken hängte. Falls die Menschen zurückkehrten, die sie eingesperrt hatten, durften sie nicht bemerken, dass ein Fremder bei der Frau gewesen war.
Sir Darrens Herz klopfte wild, als er zur Kirche eilte. Er mied den offenen Platz in der Mitte des Dorfes und huschte an der Talseite entlang, dort, wo die Häuser sich als baufällige Ruinen präsentierten. War der desolate Zustand eine Art Tarnung? Welche von beiden Seiten stellte die Maske dar, und welche war das wahre Gesicht dieses Dorfes? Er hätte Veronika fragen sollen, aber vermutlich hätte sie ihm auch darauf keine Antwort gegeben.
Die Kirche tauchte vor ihm auf, und er fragte sich ein letztes Mal, ob es nicht besser war, den Pfad ins Tal zu nehmen und dieses Dorf hinter sich zu lassen. Es wäre nicht das erste Mal in seinem Leben gewesen, dass er einem Menschen die Hilfe verweigerte. Er konnte damit umgehen, musste nicht jedermanns Held sein, um sich seine Selbstachtung zu bewahren.
Aber die Kirche lud ihn ein. Das weiße Gebäude verhieß Rettung. An ihr gab es keine heruntergekommene Seite, keine Maskierung, keine zwei Gesichter. Das einfache, schmucklose Gotteshaus stand inmitten der zweigeteilten Häuser wie ein Symbol der Aufrichtigkeit. Den spitzen Kirchturm zierte weder ein Kruzifix noch ein Wetterhahn. Zwei schmale Balken kreuzten sich dort und bildeten eine Art X. Dass die Kirchturmuhr 11.05 Uhr zeigte, verunsicherte ihn für einen Augenblick, schien eine unangenehme Verbindung herzustellen zwischen dem Haus, in dem das Mädchen festgehalten wurde, und dieser Kirche. Was bedeutete diese Uhrzeit für dieses Dorf?
Der Nebeneingang war leicht zu finden – eine niedrige Tür aus dunklem Holz, zu der drei Stufen hinaufführten. Ihr haftete etwas Diskretes an, und Sir Darren fühlte sich gut aufgehoben, als er sie öffnete und in einen halbdunklen Gang tauchte. Er musste auch hier den Kopf einziehen.
Eine zweite Tür beendete den Durchgang. Sie glich der äußeren aufs Haar, und auch sie war nicht verschlossen. Dankbar, dass sie nicht quietschte, drückte der Mann sie langsam nach innen und gelangte in die Kirche. Sein erster vorsichtiger Blick galt den Sitzreihen. Sie waren leer. Eine Empore gab es in dem Kirchenraum nicht, die kleine weiße Orgel stand am Ende des Schiffs neben dem Portal. Das Innere der Kirche war in dunkleren Farben gehalten und die Gemälde in den tiefen, überschatteten Nischen schlecht zu erkennen. Es roch intensiv nach Kräutern, vielleicht nach brennenden Tannennadeln.
Sir Darren befand sich gleich neben dem Altarraum. Auch die Tür hinter sich zu schließen, gelang ihm vollkommen lautlos. Um den Altar zu sehen, musste er an einem Vorsprung vorbei.
Der Dozent stellte überrascht fest, dass der Altar, wie auch die Bilder in den Nischen, von Schatten bedeckt war. Fenster gab es im Chor keine, und die schmalen Fenster im Schiff waren so angeordnet, dass sie kaum Licht in diesen Teil der Kirche ließen.
Natürlich trug der strahlende Septembermittag dennoch genügend Helligkeit in das Gotteshaus, um die Altarfigur erkennen zu lassen.
Dieses Ding auf dem Altar …
Der Anblick traf Sir Darren wie ein Schlag. Er musste sich an der Steinwand festhalten.
Erwartet hatte er den Gekreuzigten, oder wenigstens ein Kreuz.
Ein Kreuz war es in gewisser Weise, das über dem niedrigen Altarstein prangte, doch nicht jenes, das seit Jesu Hinrichtung zum Symbol
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