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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 3 Fluch der Liebe

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 3 Fluch der Liebe

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 3 Fluch der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Stern. Nicht einzuschätzen.
    Kurz betrachtete er das Fenster. Man hatte die zerbrochenen Scheiben provisorisch durch eine blaue Kunststofffolie ersetzt. Es war August, die Nächte warm – kein Problem. Aber das Zimmer bekam dadurch etwas Kaltes, Baustellenhaftes.
    „Ich möchte mit dir reden“, sagte er. Es war mehr ein Flüstern, und er musste es dreimal wiederholen, ehe sie die Augen aufschlug.
    Artur sog scharf die Luft ein, als ihr Blick ihn fand. Ihre Augen wirkten vom ersten Moment an wach.
    Als hätte sie nie geschlafen.
    „Du“, sagte sie. „Wo warst du die ganze Zeit über?“
    Ihre Stimme klang kühl, aber ohne Hass. Sie hatte einen deutlichen Akzent, doch ihre Wortwahl und Grammatik waren makellos. Ihre plötzliche Klarheit verwirrte Artur, und er rückte den Stuhl ein Stück zurück, ohne sich dessen bewusst zu werden.
    „Du ... hast auf mich gewartet?“, fragte er unsicher.
    „Natürlich.“
    „Ich konnte nicht kommen. Man hat es mir verboten.“
    „Warum?“
    Er stockte. Er hatte diese Frage aus ihrem Mund nicht erwartet.
    War es denn nicht offensichtlich, warum man ihn von ihr fernhalten wollte? Oder hatte sie womöglich vergessen – verdrängt, was mit ihr geschehen war? Sein Gesicht zumindest schien ihr bekannt zu sein.
    „Man denkt ... ich könnte dir etwas antun wollen.“ Jetzt, wo er es aussprach, klang es beinahe lächerlich.
    „Würdest du so etwas tun?“
    „Nein.“ Das war keine Lüge. Natürlich würde er ihr nichts tun können. Er konnte zupacken, sich seiner Haut wehren und notfalls einen Mann niederschlagen, wenn es notwendig war. Auch mit Madoka war er nicht sehr sanft umgesprungen, als er verhindert hatte, dass sie ihre Flucht weiter fortsetzte und sich dadurch selbst umbrachte. Das war zu ihrem Besten gewesen. Aber er konnte niemanden töten oder absichtlich ein Leid zufügen. Es hatte auch niemals die Notwendigkeit gegeben, sich seiner Haut zu erwehren. Sein Schutzengel war stets zur Stelle gewesen und hatte dafür gesorgt, dass er sich die Hände nicht schmutzig zu machen brauchte.
    Das Mädchen klappte das Tagebuch zu.
    „Du möchtest mich kennen lernen?“, fragte sie leise.
    Artur nickte.
    „Ich möchte dich auch kennen lernen“, sagte sie. „Ich habe den gleichen Grund wie du. Da ist etwas zwischen uns passiert. Ich weiß nicht, was es war. Da war eine ... Macht, die mich beinahe vernichtet hätte.“
    „Es tut mir leid“, brachte er hervor.
    „Es braucht dir nicht leid zu tun“, erwiderte sie. „Es war der faszinierendste Moment in meinem Leben.“
    „Wirklich?“ Das konnte er nicht glauben.
    „Ich möchte wissen, was es war. Und warum es zwischen dir und mir geschehen ist.“
    Artur starrte sie ungläubig an. Unwillkürlich kamen ihm die Worte der Köchin in den Sinn. Redet nur das nötigste und nur, wenn sie angesprochen wird. – So hatte sie Madoka beschrieben. Und weiter: In meinem ganzen Leben bin ich keinem so unglücklichen und verschlossenen Menschen begegnet.
    Mit jeder Sekunde, die er sich in diesem Zimmer aufhielt, begriff er weniger.
    Das Gespräch, das er in den folgenden fünfzehn Minuten mit Madoka führte, blieb merkwürdig vage und ungreifbar. Wenn er ihr von sich zu erzählen versuchte, schien sie mit ihren Gedanken abzudriften und ihm nur mit halbem Ohr zuzuhören. Bemühte er sich stattdessen, von dem Schutzengel zu berichten, zeigte sie Interesse. Und das, obwohl es da nicht wirklich viel zu sagen gab.
    Und was verriet sie ihm von sich? Ein paar Belanglosigkeiten, um das Gespräch in Gang zu halten. Etwas über den Beruf ihrer Eltern, über Alter und Aufenthaltsort ihres Bruders – Informationen, die ebenso gut wahr wie frei erfunden sein konnten. Nichts, was ihm einen Anhaltspunkt gegeben hätte, weshalb der Schutzengel sie angegriffen hatte.
    Irgendwann erhob er sich zerstreut.
    Er taumelte hölzern ein paar Schritte zurück und stieß gegen eine Pappschachtel, die am Fußende des Bettes ihrer Zimmergenossin stand. Isabel Holzapfels Bett.
    Die Schachtel kippte um, und etwas rollte heraus. Ein Stück einer leicht gelblichen Wurzel. Artur griff danach und wollte sie in die Schachtel zurücklegen. Doch dann stockte er in der Bewegung, wandte sich um und zeigte sie Madoka.
    „Was ist das?“, wollte er wissen.
    „Eine Alraunwurzel, nehme ich an“, lautete die Antwort. „Eine Mandragora.“
    „Aha.“ Er klappte die Pappdeckel der Schachtel auf und legte die Wurzel zurück. Es war nicht unbedingt seine Absicht gewesen, den

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