Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 7 Das Schloss und seine Geister
beugte. Ab und zu glitt ein knochiger Finger über das Papier, über die entstellten Toten – ein in der Realität lautloser Vorgang, der auf Hottens Seele jedoch ein quietschendes, kaum erträgliches Geräusch verursachte.
Für einige schreckliche Minuten entsetzte Werner Hotten dieser Ort. Er spürte, wie er sich nach den Beeten hinter dem Haus sehnte. Er wünschte sich insgeheim, den Beamten seinen Erkundungen, Sir Darren seinen Leichen und überhaupt jedes Geschöpf in diesem Haus seiner Beschäftigung überlassen zu können. Aber natürlich war dies das Letzte, was er in diesem Moment tun durfte!
Fachinger legte seinen Hut ab, um beide Hände frei zu haben. Er lief die Regale entlang, ließ seine Blicke über die Buchrücken schweifen und nahm bisweilen einen der schweren Wälzer heraus. Bei einigen Bänden schien sich sein Backenbart zu den Seiten hin zu sträuben, manchmal blähten sich seine verquollenen Nasenflügel auf. Er zeigte keine Eile, schritt langsam einher, beschäftigte sich jedoch mit keinem Buch länger als einige Sekunden. Die zahlreichen fremdsprachigen Bände fasste er nicht einmal an.
Sir Darren tat so, als beachte er den ungebetenen Gast nicht. Doch Hotten sah, dass der Brite ihn aus den Augenwinkeln beobachtete.
„Gut“, brummte der Beamte schließlich. „Zeigen Sie mir das Haus.“ Mit seiner uniformähnlichen Bekleidung, den in die Hüften gestemmten, kurzen Armen und den buschigen Augenbrauen, die jemand weit in die Augenhöhlen gedrückt zu haben schien, wirkte er wie ein uriger Dorfpolizist, der nicht auf drei zählen konnte.
Werner Hotten bezweifelte, dass es nötig war, bis drei zählen zu können, um dieses Schloss für einen höchst kranken und verdächtigen Ort zu halten ...
2
Fachinger schritt herrisch durch den kerzengeraden Flur im ersten Stock. Der Rektor hatte ihm die Küche und die Fernsehnische gezeigt. Ein Video hatte noch im Rekorder unter dem TV-Gerät gesteckt, und Hotten hatte es herausnehmen und dem Polizisten aushändigen müssen. Es war Disneys „Bärenbrüder“, und der Beamte konnte seine Enttäuschung darüber nur schwer verbergen, dass es sich weder um einen indizierten Splatterfilm noch um Privataufnahmen einer satanistischen Orgie handelte. Es war noch nicht einmal eine illegale Raubkopie ...
„Schloss Falkengrund wurde im Jahre 1752 erbaut und bis zum Jahr 1891 von der Familie von Adlerbrunn teils bewohnt, teils als Jagdschlösschen benutzt“, spielte Hotten den Fremdenführer. „1897 zog ein deutsch-französisches Ehepaar in das leerstehende Gebäude ein, das aus dem Schloss eine Schule für übersinnliche Phänomene machte. Die ist es bis heute geblieben – mit mehreren Unterbrechungen, hauptsächlich während der Weltkriege.“
„Falkengrund ... Adlerbrunn“, murmelte Fachinger. „Eine Menge Raubvögel, wenn Sie mich fragen.“
„Nach unserem Wissensstand“, erläuterte Hotten, „ist Falkengrund ein Schutzname.“
„Ein was? Eine Art ... Deckname?“
„Ja, aber nicht im kriminalistischen Sinn.“
„Können Sie das erklären?“
„Sehen Sie, die Leute im 18. Jahrhundert fürchteten sich sehr vor dem Leibhaftigen. Vielleicht hatten die Barone von Adlerbrunn einen besonderen Grund dafür. Das lässt sich heute schwer sagen. Wir vermuten, dass man das Schlösschen einfach Adlerbrunn nennen wollte, dann aber eine Art Codierung vorzog, um den Teufel in die Irre zu leiten. Der Falke als Ersatz für den Adler, das Wort Grund als eine Chiffre für Brunnen . So fühlte man sich sicher und vor den Blicken des Satans verborgen.“
Werner Hotten war nicht wohl dabei, den Namen „Satan“ in der Gegenwart des Beamten fallen lassen zu müssen. Nicht, dass er abergläubisch gewesen wäre! Er für seinen Teil glaubte nicht an die Existenz Luzifers – für ihn war der „Herr dieser Welt“ ein Teil der christlichen Mythologie wie Loki ein Teil der germanischen war, nicht mehr und nicht weniger. Aber es lag nicht in seinem Sinne, dem Verdacht des Beamten, die Schule könne in Wirklichkeit das Nest einer satanistischen Sekte sein, weitere Nahrung zu geben.
Andererseits – der Mann konnte die Geschichte des Hauses jederzeit nachprüfen. Chroniken existierten, in denen Schloss Falkengrund und seine Bewohner ausreichend Erwähnung fanden. Es machte keinen Sinn, ihm Lügenmärchen aufzutischen. Zumal Werner Hotten ein lausiger Schauspieler war. Es war in jedem Fall besser, Fachinger erfuhr die Wahrheit aus dem Munde des Rektors. Auch wenn
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