Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Onkel mitfühlend fort. »Irgendwie ist sie in den Wochen auch mir ans Herz gewachsen. Aber dich nur deinen traurigen Gedanken hinzugeben, ändert auch nichts daran. Lenke dich ab, beschäftige dich, mein Junge, nimm Astor und galoppier über die Felder. Dann wird es dir leichter ums Herz.«
Tobias zweifelte daran, war aber dennoch dankbar für den Vorschlag. Er wollte allein sein und mit keinem sprechen. Sich in irgendeine Ecke zu verdrücken oder sich in sein Zimmer einzuschließen, hätte wenig erwachsen ausgesehen. Auszureiten erschien ihm daher als die beste Möglichkeit, allen gut gemeinten Ratschlägen und Fragen aus dem Weg zu gehen. So ging er hinüber in den Stall und sattelte Astor, der ihn freudig begrüßte und darauf brannte, die Hufe fliegen zu lassen.
Er ließ dem Pferd seinen Willen und auch die Wahl des Weges. Mal im Trab und dann wieder im trommelnden Galopp ging es an den Feldern und Äckern vorbei. Er hatte keinen Blick für die Bauern und Knechte, die das Land bestellten, die schwere Erde mit dem Pflug aufbrachen und mit saatgefüllten Säcken um den Bauch die langen Furchen entlangschritten, die klobigen Schuhe schwer von klumpender Erde. Auch für den frischen Duft des Frühlings, der von den blühenden Sträuchern und den Wildblumen auf den Wiesen aufstieg, hatte er keinen Sinn. Seine Ohren waren taub für den vielstimmigen Gesang der Vögel und das Sirren der Bienen, die zur ersten Ernte ausschwirrten. Und die Sonne auf seinem Gesicht vermochte mit ihrer wärmenden Kraft nicht bis in sein Herz vorzudringen.
Immer wieder überlegte er, ob er Astor nicht auf die Landstraße lenken und Jana hinterherreiten sollte. Mit ihrem Kastenwagen gelangte sie nicht schnell voran, und bestimmt könnte er sie in einer guten Stunde eingeholt haben. Aber was dann? Es war keine Lösung. Früher oder später müsste er ja doch umkehren, und er würde alles nur noch viel schmerzvoller empfinden.
Und doch schlug er einen Bogen zurück zur Landstraße und sprengte fast die ganze Strecke im Galopp bis nach Marienborn. Dort aber zwang er sich zur Vernunft und kehrte um.
Astor brauchte eine Atempause, und so ließ er ihn in einen gemächlichen Trab fallen, während er an Jana dachte und die Wochen, die sie zusammen verlebt hatten. Fast einen Monat war sie auf Falkenhof gewesen. Wie kurz und doch auch lang war diese Zeit gewesen!
So sehr war er in seine Gedanken versunken, dass er die beiden Reiter hinter sich erst bemerkte, als sie bis auf zwanzig Pferdelängen zu ihm aufgeschlossen hatten und ihre Tiere plötzlich angaloppieren ließen.
Der schnelle Hufschlag hinter ihm ließ ihn aufschrecken. Noch nichts Böses ahnend, schaute er sich um. Zwei Männer auf schnellen Pferden. Einer von ihnen trug einen verschlissenen Soldatenrock. Der andere einen grauen Umhang und eine Lederkappe, die er tief in die Stirn gezogen hatte. Wenig Vertrauen erweckende Gestalten.
Und dann bemerkte er den dritten Reiter, der weit hinter den zweien folgte. Ein großer Mann, der kerzengerade im Sattel saß und jetzt etwas an die Augen hielt, was im Licht reflektierte. Ein Fernglas!?
Zeppenfeld!
Ein Verdacht, mehr war es nicht, denn der Reiter war noch zu weit weg, um seine Gesichtszüge erkennen zu können. Doch die Haltung passte zu ihm! Und wenn er es wirklich war, dann gehörten diese beiden Gestalten, die nun herangaloppiert kamen, zu ihm!
Diese Beobachtungen, Vermutungen und Gedanken waren eine Sache von nur wenigen Sekunden. Erschrocken rammte Tobias seinem Pferd die Absätze in die Flanken und galoppierte los: »Lauf, Astor! Lauf!«, feuerte er ihn an. »Sie dürfen uns nicht einholen!«
Astor streckte sich und gab sein Bestes. Doch er hatte schon einen langen Ritt hinter sich, war viele Kilometer galoppiert und hatte viel von seinen Kräften aufgezehrt.
Immer wieder warf Tobias einen gehetzten Blick zurück und stellte mit wachsendem Schrecken fest, dass sein Vorsprung immer mehr zusammenschmolz. »Lass mich nicht im Stich, Astor! Zeig ihnen, was in dir steckt! … Vorwärts, lass jetzt nicht nach! Es ist nicht mehr weit bis Falkenhof. Lauf! Lauf! Lauf! Sie dürfen uns nicht einholen! Du schaffst es! Ich weiß es!«
Doch der halbe Ober-Olmer Wald lag noch vor ihnen! Sie würden ihn weit vor der Allee schon eingeholt haben. Astor konnte mit ihren offensichtlich ausgeruhten Pferden nicht mithalten. Er konnte das Rennen nicht gewinnen. Nicht mit Schnelligkeit.
»Ich muss versuchen, sie anders abzuschütteln!«, fuhr es
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