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Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken

Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken

Titel: Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schröder
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können. Der Chefarzt hat aber Verdacht geschöpft und ihn gestern nach Hause geschickt, nachdem erzürn Beweis seiner Gesundheit noch einen halben Laib Brot und ein ganzes Huhn verzehren durfte. Also komm, bevor mein letztes Huhn gebraten wird!‹«
    Heinrich Heller blickte auf. »Na, wie klingt das?«
    Staunend hatte Tobias zugehört. »Unglaublich – für ein Krankenhaus! Ist der Brief wirklich echt?«
    »O ja! Hätten wir heute so ein Krankenhaus in Mainz oder sonst wo, dann könnten wir uns glücklich schätzen, nicht wahr? Aber dieser Brief ist nicht etwa ein paar Jahre oder Jahrzehnte alt, mein Junge, sondern er wurde vor gut achthundert Jahren verfasst!«
    »Unmöglich!«, staunte Tobias.
    »Ja, da staunst du, nicht wahr? Städte wie Kairo und Bagdad hatten damals dreißig, vierzig von solchen Krankenhäusern, wo die Behandlung und Pflege kostenlos waren – und zwar für alle Schichten des Volkes, ob arm oder reich. Es war jedem mächtigen Kalifen und Sultan Ehre und Verpflichtung zugleich, solche Krankenhäuser zu gründen und aus seinem Privatvermögen zu finanzieren und die ärztliche Wissenschaft zu fördern.«
    »Das klingt fast nach Tausendundeiner Nacht«, meinte Tobias beeindruckt.
    »Und jetzt die Beschreibung eines europäischen Hospitals! Des Hotel-Dieu in Paris …«
    »Herberge Gottes? Ein seltsamer Name«, meinte Tobias und machte sich über das letzte Leberwurstbrot her.
    »Ja, und nach Aussage von Zeitgenossen war es das beste Hospital in ganz Europa – gut fünfhundert Jahre später errichtet als die eben zitierten Krankenhäuser in Bagdad.«
    »Nun lies schon vor!«
    »Ich warte besser, bis du mit dem Brot fertig bist.«
    Tobias zog die Augenbrauen hoch. »So schlimm?«
    »Das Urteil überlasse ich gleich dir selber.«
    »Mach es nicht so spannend. Fang nur an!«
    Sein Onkel setzte sich zurecht und begann wieder vorzulesen.
     
    »›Auf dem ziegelgepflasterten Boden lag Stroh aufgeschichtet, und auf dieser Streu drängten sich die Kranken … die Füße der einen neben den Köpfen der anderen, Kinder neben Greisen, ja sogar, unglaublich, aber wahr, Männer und Weiber untermischt … Individuen, die mit ansteckenden Krankheiten behaftet waren, neben solchen, die nur an einem leichten Unwohlsein litten; Leib an Leib gepresst ächzte eine Gebärende in Kindeswehen, wand sich ein
    Säugling in Konvulsionen, glühte ein Typhuskranker in seinem Fieberdelirium, hustete ein Schwindsüchtiger und zerriss sich ein Hautkranker mit wütenden Nägeln die höllisch juckende Haut …‹«
     
    Tobias hatte Mühe, den letzten Bissen hinunterzuschlucken. »Onkel! Bitte!«
    Heinrich Heller zog in gespielter Verwunderung die Brauen hoch und schaute ihn über den Rand seines Zwickers hinweg spöttisch an. »Was ist? Das entspringt nicht meiner Phantasie, mein Junge, sondern ist verbürgte Tatsache!«, erklärte er und fuhr lesend fort:
     
    »›Den Kranken fehlte es oft am Notwendigsten; man gab ihnen die elendesten Nahrungsmittel in ungenügenden Quantitäten und unregelmäßigen Zwischenräumen … mit einiger Reichhaltigkeit nur dann, wenn wohltätige Bürger aus der Stadt sie ihnen brachten. Zu diesem Zwecke standen die Tore des Spitals Tag und Nacht offen. Jeder konnte eintreten, jeder konnte bringen, was er wollte, und wenn die Kranken an einem Tag halb verhungerten, konnten sie sich vielleicht an einem anderen Tage in unmäßigem Suff berauschen und durch Überanstrengung des Magens töten. Das ganze Gebäude wimmelte von scheußlichstem Ungeziefer, und die Luft war am Morgen in den Krankensälen so pestilenzialisch, dass Aufseher und Wärter nur mit einem Essigschwamm vor dem Munde einzutreten wagten. Die Leichen blieben gewöhnlich vierundzwanzig Stunden und oft länger auf dem Sterbelager, ehe sie entfernt wurden, und die übrigen Kranken hatten während dieser Zeit das Lager mit dem starren Körper zu teilen, der in der infernalischen Atmosphäre bald zu riechen begann und um den die grünen Aasfliegen schwärmten …‹«
     
    »Genug!«, bat Tobias und schüttelte sich. »Das reicht mir völlig von der Herberge Gottes!«
    Heinrich Heller schlug das Buch zu. »Das zu den primitiven Heiden des Morgenlandes, gegen die wir stolz in Kreuzzügen angetreten sind, um ihnen die hohe Kultur des Abendlandes zu bringen!«, sagte er sarkastisch.
    »Aber das verstehe ich nicht: Wieso haben wir dann nicht diese viel fortschrittlichere Heilkunde übernommen und die Hospitäler hier auch so eingerichtet und

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