Falkenhof 01 - Im Zeichen des Falken
Araber.
Tobias blickte beeindruckt zu Sadik hinüber. »Wenn ich mir also auch so eine Kugel in die Nase stopfen würde, dann würde ich in einen Tiefschlaf fallen, ob ich will oder nicht?«, fragte er.
»So ist es!«, bestätigte Sadik.
»Phantastisch!«
»Es ist ein altes arabisches Heilmittel und kein Zauberelixier, damit du erst gar nicht auf falsche Gedanken verfällst«, meinte sein Onkel.
»Und von solchen Heilmitteln hast du noch mehr in deiner Kiste?«, fragte Tobias.
»Ja, so einiges, was man auf einer langen und gefährlichen Reise mitnehmen kann, ohne dass es verdirbt«, lautete Sadiks vage Antwort.
Das Mädchen wurde sichtlich ruhiger, ihr schmerzerfülltes Stöhnen wurde zu einem Seufzen und auch ihre Hand entkrampfte sich.
»Das ist wohl im Moment alles, was wir für sie tun können, Tobias«, sagte Heinrich Heller, kam um das Bett herum und berührte seinen Neffen am Arm. »Lassen wir sie schlafen.«
»Ich werde bei ihr bleiben«, sagte Sadik.
Heinrich Heller hatte sich das wohl schon gedacht, denn er nickte nur. »Wenn etwas ist, wir sind im Studierzimmer.«
»Was sollen wir mit dem Affen tun?«, wollte Tobias wissen und deutete auf den Käfig.
»Das ist ja ein Makak!«, rief Heinrich Heller überrascht.
»Ein was?«
»Ein asiatischer Zwergaffe vom Stamm der Makaken. Und dazu auch noch mit einem weißen Schwanz. Das ist ein Glückssymbol, mein Junge! Die Laoten nämlich sehen in einem solchen Affen mit weißem Schwanz die Verkörperung ihres Gottes Wischnu«, erklärte er.
»Ich glaube, er ist recht zutraulich, auch wenn er mich in seiner Angst in den Daumen gebissen hat«, sagte Tobias. »Was sollen wir mit ihm anfangen?«
Heinrich Heller überlegte. »Mir scheint, er fühlt sich hier im Warmen recht wohl. Er gehört dem Mädchen. Also, warum sollen wir ihn nicht in ihrer Nähe lassen? Er macht einen sauberen Eindruck. Hast du etwas dagegen, Sadik? Ich weiß, ihr Araber habt nicht viel für Affen übrig. Aber dies ist kein gewöhnlicher Affe, Sadik. Es ist ein Makak, ein Glückssymbol.«
Sadik sah nicht gerade glücklich aus und blickte mit finsterem Gesicht zum Affenkäfig hinüber. »Meinetwegen. Er kann bleiben«, brummte er dann.
Abendland und Morgenland
Tobias und sein Onkel ließen Sadik mit dem Mädchen und dem Affen allein und begaben sich in das Studierzimmer. Dort klingelte Heinrich Heller nach Lisette. Ihr Gesicht hatte mittlerweile wieder eine frischere Farbe angenommen. Doch als sie ansetzte, sich zu beklagen, fiel er ihr sofort ins Wort: »Sei beruhigt, du wirst im Krankenzimmer weder heute noch in Zukunft gebraucht. Sadik wird ihre Pflege übernehmen.«
»Ja … aber …« Sie holte noch einmal Luft. »Er ist doch ein Mann! Das schickt sich doch nicht, auch wenn es nur eine Zigeunerin ist!«, stieß sie schockiert hervor.
»Das nur möchte ich nicht noch einmal hören!«, tadelte sie der Gelehrte. »Sie ist schwer krank und zudem unser Gast! Und sie ist eine Zigeunerin, wie du ein Hausmädchen bist. Oder möchtest du, dass andere von dir sagen, du wärest nur ein Hausmädchen, Lisette?«
Sie errötete bis zu den Haarspitzen. »Nein, natürlich nicht, Herr Professor … aber … der Araber … ich meine, wo sie doch ein Mädchen ist«, stammelte sie, »wäre es da nicht besser, einen Arzt … oder die Hebamme aus Marienborn …«
»Weder ein Arzt noch eine Hebamme werden hier gebraucht!«, beschied Heinrich Heller sie ruhig, aber bestimmt. »Und du tätest gut daran, dir nicht meinen Kopf zu zerbrechen.«
Die Röte auf ihrem Gesicht wurde noch dunkler. »Entschuldigen Sie«, murmelte sie betreten und machte dabei einen Knicks. »Ich wollte nicht …«
»Schon gut, Lisette. Ich weiß sehr wohl, was du wolltest und was nicht. Aber die Dinge sind bei mir und Sadik schon in den besten Händen. Und nun lauf zu Agnes und sag, sie soll dem Jungen etwas zu essen bereiten.«
»Großen Hunger hab ich nicht«, sagte Tobias schnell. »Zwei Leberwurstbrote sind schon genug. Aber heißen Kakao möchte ich.«
»Und ich wollte gerade Grog vorschlagen.«
Tobias grinste. »Oh, dann natürlich keinen Kakao!«
Lisette beeilte sich, dass sie aus dem Zimmer kam. Als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, fragte Tobias nach kurzem Zögern: »Und du bist sicher, dass es nicht nötig ist, nach einem Arzt zu schicken?«
»Dein Vertrauen in Sadiks Können und in das der arabischen Heilkunst überhaupt ist wohl nicht sehr groß, wie?«, fragte Heinrich Heller
Weitere Kostenlose Bücher