Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
Jana!«
Sie hatten die Rue Bayard erreicht, bei der es sich um eine Sackgasse mit noch altem Baumbestand handelte. Das Haus von Jean Roland befand sich ganz am Ende der Straße, lag in einem kleinen Garten und war von einer hohen, efeuberankten Mauer umgeben.
Jana lenkte den Wohnwagen durch das offen stehende Tor auf den Vorhof und hielt vor dem ansprechenden zweistöckigen Bürgerhaus, das im klassizistischen Baustil errichtet war und an das sich rechter Hand ein flacher Anbau neueren Datums anschloss. Ein großes Schild über dem dortigen Eingang wies darauf hin, dass sich hier die Druckerei, Anzeigenannahme und Redaktion der Abendzeitung Le Patriote befanden. Ein gutes Dutzend kleiner Handkarren, die neben dem Anbau standen und mit denen die Zeitungen wohl ausgefahren wurden, trugen ähnliche Schilder.
»Da wären wir!« Gaspard sprang von der Trittstufe.
»Danke, dass du uns so gut geführt hast«, sagte Tobias und steckte ihm statt der ausgehandelten zwanzig Centimes das Doppelte zu.
»Wenn ihr mal wieder einen Führer oder einen Boten für irgendeine Erledigung braucht, ich stehe euch immer zu Diensten«, sagte Gaspard.
»Na, dich zu finden dürfte für uns wohl reichlich schwierig sein«,
erwiderte Jana. »Wir wissen ja noch nicht mal, wo du zu Hause bist, und auch wenn wir es wüssten, hätten wir wohl wieder einen Führer nötig um dich zu finden.«
Gaspard lachte kurz auf. »Das glaube ich nicht. Ich habe kein festes Zuhause. Ganz Paris ist mein Zuhause. Wir sehen uns bestimmt noch mal.«
»Allahs Wege sind unergründlich«, sagte Sadik, nickte ihm zu und schritt die Stufen zum Portal hoch. Jana und Tobias folgten ihm.
Sadik betätigte den schweren bronzenen Türklopfer, und als sie warteten, dass ihnen geöffnet wurde, schaute Tobias sich noch einmal um. Irgendwie überraschte es ihn nicht, dass er Gaspard vor dem Tor auf einem der Prellsteine sitzen sah, als rechnete er fest damit, ihnen schon bald ein zweites Mal nützlich sein zu können.
Was für ein Unfall es wohl gewesen sein mag, bei dem er Hand und Auge verloren hat? fragte er sich. Dann ging die Tür auf und er vergaß Gaspard zunächst. Er war gespannt auf Jean Roland, dessen Sohn Andre – und auf das zweite Wattendorfsche Rätsel.
Wie auf einem Pulverfass!
Ein hageres Dienstmädchen in einem taubengrauen Kleid mit gestärkter Schürze und nicht minder makellos weißer Haube stand in der Tür. Sie warf einen raschen Blick auf den bunt bemalten Wohnwagen, der hinter den Besuchern am Fuße des Treppenaufganges stand. Sie sah nicht viel älter als zwanzig aus. Doch sie schien die Erfahrung und äußere Ausdruckslosigkeit eines altgedienten Butlers zu haben. Denn weder ihr wenig reizvolles Gesicht noch ihre Stimme verrieten auch nur einen Anflug von jener Verwunderung, die ein solch merkwürdiges Gefährt und die vor ihr stehenden Personen in ihr hervorrufen mussten. Sadik, Tobias und Jana entsprachen vom Alter und ihrem äußeren Erscheinungsbild her wohl kaum jenen Besuchern, die Monsieur Roland gewöhnlich in seinem Haus empfing.
»Ja, bitte? Womit kann ich Ihnen dienen?«, fragte sie mit überraschender Höflichkeit, als zählte fahrendes Volk zu den gern gesehenen Gästen ihrer Herrschaft.
Sadik ließ Tobias den Vortritt, der sich nun vorstellte. »Tobias Heller ist mein Name. Mein Vater, der Forschungsreisende Siegbert Heller aus Mainz, ist ein guter Freund von Monsieur Roland. Im letzten Jahr war er noch hier bei ihm zu Gast. Sie waren zusammen in Ägypten und Sadik Talib kennt Monsieur Roland auch. Wir sind hier, weil wir eine wichtige Nachricht für ihn haben.«
»Treten Sie mit Ihren Freunden doch bitte ein, Monsieur Eller«, bat das Dienstmädchen, das H seines Namens verschluckend. »Monsieur Roland wird sich über Ihren Besuch gewiss sehr freuen. Er ist nebenan in der Druckerei. Ich werde ihn sofort von Ihrem Kommen unterrichten. Wenn Sie solange im Salon warten wollen?«
Der Salon war geschmackvoll, aber ohne Prunk eingerichtet. Was sie aber alle bestaunten, waren die Malereien auf den Wänden, die wunderbar farbige Landschaftsbilder und Tiere zeigten. Und es dauerte eine Weile, bis sie feststellten, dass die Bilder nicht auf die Wände gemalt waren, sondern dass es sich um sogenannte Tapeten handelte, die man aufklebte. Tobias hatte davon zwar schon mal gehört, aber gesehen hatte er eine solche Bildtapete noch nicht.
Wenig später hörten sie rasche Schritte auf dem Parkett in der Eingangshalle. Dann flog
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