Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
die Tür auf und Jean Roland stürmte in den Salon.
Tobias hatte sich unter einem Zeitungsverleger einen Mann von Statur und gesetztem Auftreten vorgestellt, der Respekt einflößte. Doch diesem Bild entsprach der Freund seines Vaters ganz und gar nicht.
Jean Roland war von eher kleiner und schmächtiger Gestalt. Nur die grauen Strähnen an den sich lichtenden Schläfen entsprachen ein wenig seiner Vorstellung. Klare Züge, lebhafte Augen, eine etwas zu kräftige Nase und ein buschiger Schnurrbart gaben seinem schmalen Gesicht eine sehr lebensfrohe Note.
Auch wer ihn nicht kannte, begriff schon nach wenigen Augenblicken in seiner Gesellschaft, dass er ein Mann war, der immer in Bewegung sein musste. Er glich einem Wirbelwind, der alles, was er in Angriff nahm, mit atemberaubendem Tempo und Elan ausführte. Dementsprechend überschäumend fiel auch seine Begrüßung aus.
»Es ist wahr! Ihr seid es wirklich! Sadik, mein Bester! Wie schön dich nach so langer Zeit endlich wiederzusehen! Dass du mal den Weg nach Paris finden würdest, hätte ich nie gedacht. Umso glücklicher stimmt es mich, dich bei mir begrüßen zu können! Machte mir schon Sorgen, als Siegbert mir von deiner Erkrankung erzählte! Aber einen wahren Beduinen wirft so schnell nichts um, nicht wahr? Ach, wenn ich mich doch der Expedition unseres kühnen Siegbert hätte anschließen können! – Ah, und du bist also Tobias, der Sohn unseres kühnen Forschers, ja? Natürlich! Man sieht es. Bist deinem Vater ja wie aus dem Gesicht geschnitten. Lass dich an meine Brust drücken, mein Junge. Habe viel Gutes von dir gehört, machst Siegbert und deinem Onkel viel Freude. – Und wen haben wir denn da? Welch ein reizendes Geschöpf! Würdest du bitte die Güte haben mich Mademoiselle vorzustellen, Tobias? Welch eine unverzeihliche Unhöflichkeit, dass ich diese junge Dame zuallerletzt in meinem Haus willkommen heiße! Meine Frau würde mich einen ungehobelten Bauern schimpfen, und das zu Recht, wenn mir das unter ihren Augen passiert wäre! … Jana Salewa? Ein trefflicher Name für eine junge Schönheit.«
Jean Rolands atemlose Herzlichkeit war wie ein Wasserfall, der sich urplötzlich über sie ergoss und sie wehrlos unter sich begrub, insbesondere für Jana und Tobias, die ihn noch nicht kannten und kaum einen halben Satz über die Lippen bekamen, ohne dass Roland ihnen ins Wort fiel. Sadik dagegen nahm mit dem amüsierten Lächeln des Wissenden in einem der chintzbezogenen Sessel Platz und versuchte erst gar nicht dem unglaublichen Redestrom ihres Gastgebers Einhalt zu gebieten. Er wusste aus Erfahrung, dass Jean Roland seine Zeit brauchte, um sich bei so einem Wiedersehen seine übersprudelnde Begeisterung vom Herzen zu reden.
Hektisch lief er hin und her und erteilte dem hageren Hausmädchen, das auf den Namen Isabelle hörte, eine ganze Reihe von Anweisungen.
»Gib Edouard Bescheid, dass er ihr Pferd ausspannt, im Stall unterstellt und gut versorgt! Den Wagen soll er hinters Haus fahren! Und Marie kann uns Tee und schnell einen kleinen Imbiss für unsere Gäste bereiten. Und sag Eugene, dass sie zwei Gästezimmer richtet! Die beiden, die zum Garten hinausgehen!«
Isabelle knickste und huschte lautlos davon.
»Kommt man bei diesem Mann überhaupt jemals zu Wort?«, flüsterte Tobias Sadik zu.
»Eile treibt die Kamele nicht, mein Junge«, gab Sadik leise und belustigt zur Antwort. »Hab etwas Geduld. Nach den langen Wochen, die wir auf den Landstraßen Frankreichs verbracht haben, kommt es wohl auf eine halbe Stunde mehr oder weniger nicht mehr an, oder? Und etwas anderes als Geduld nutzt dir bei Sihdi Roland sowieso nicht. Erst wenn sie satt ist, hört die Biene vom Honig zu naschen auf. Doch lass dich nicht täuschen: Redseligkeit allein macht noch keinen zum Schwätzer, wie auch Wortkargheit noch kein Beweis von Weisheit ist.«
Tobias hatte dennoch Mühe seine Ungeduld zu bezähmen und nicht sofort mit der Frage herauszuplatzen, die ihm auf der Zunge brannte. Doch er war vernünftig genug um einzusehen, dass dies nicht nur sehr unhöflich, sondern vor allem auch erfolglos gewesen wäre.
Jean Roland redete fast ohne Atem zu holen. Voller Bedauern unterrichtete er sie davon, dass seine schwangere Frau Louise Paris schon zu Beginn des heißen Sommers verlassen habe und bei ihren Eltern auf dem Land weile, wo sie sich dort in ihrem Zustand bedeutend besser fühle als in Paris. Sein Sohn leiste ihr in dem beschaulichen Ort nahe der Küste
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