Falkenhof 02 - Auf der Spur des Falken
Gesellschaft. Er habe Andre auch deshalb bewogen, seine Mutter aufs Land zu begleiten, weil er hoffe, dass sein Sohn in der ländlichen Abgeschiedenheit, fern der Hektik und Ablenkungen von Paris, die Ruhe dazu nutzen werde, sich endlich darüber klar zu werden, ob er nun in die Fußstapfen seines Vaters treten wolle oder nicht.
»Ja, ich habe es gut gemeint, als ich Andre aus der Stadt schickte,
gut für ihn und für mich. Aber wie es aussieht, ist es das Dümmste, was ich bisher getan habe«, fügte er verdrossen hinzu. »Wie gut könnte ich ihn jetzt brauchen! Und wie gut könnte er gerade in diesen Tagen erleben, was es bedeutet, eine Zeitung herauszugeben! Er träumt von Abenteuern! Gut, ich verstehe ihn, denn auch mich lockten die Fremde und der Nervenkitzel. Deshalb ging ich auch mit deinem Vater nach Ägypten, Tobias. Gewiss, die Welt in jenen Breiten ist voller Abenteuer. Aber ich kann mir dennoch kein größeres und mitreißenderes Abenteuer vorstellen, als im eigenen Land die Geschichte zu gestalten und mit einer kämpferischen Presse gegen einen König anzutreten. Doch wie hätte ich auch ahnen können, dass König Charles es wagen würde, einen solchen Umsturz auch nur in Erwägung zu ziehen!«
»Umsturz?«, nutzte Tobias den schweren Seufzer von Jean Roland für eine Frage. »Wie kann denn ein König einen Umsturz planen?«
»Indem er die Rechte, die dem Volk in der Verfassung verbrieft sind, außer Kraft zu setzen versucht – gemeinsam mit seinem Günstling Fürst Jules de Polignac, der als Ministerpräsident die Regierung anführt. Und die vier Ordonnanzen des Königs, die heute Morgen im Moniteur, dem Regierungsanzeiger, veröffentlicht wurden, sind ein klarer Anschlag auf unsere Verfassung!«, erregte sich Jean Roland.
Das Hausmädchen Isabelle schob einen Servierwagen ins Zimmer. Und während sie zwei Platten mit belegten Broten auf den Tisch stellte und in zartes Porzellan Tee eingoss, sprang Jean Roland auf und holte die Regierungszeitung.
»Ich weiß nicht, wie gut ihr mit der politischen Situation in diesem Land vertraut seid …«, sagte er mit einem fragenden Blick in die Runde.
»Nicht sehr gut, Sihdi Roland«, gab Sadik ehrlich zu. »Wir hatten es sehr eilig, zu Ihnen nach Paris zu gelangen. Doch unterwegs haben wir schon gehört, dass Charles X. offenbar kein sehr beliebter König ist. Und bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer vor wenigen Wochen hat er, wie wir von vielen nicht ohne Häme hörten, wohl eine schwere Niederlage erlitten.«
Roland lachte grimmig auf. »O ja, es war eine bittere Niederlage für unseren arroganten Monarchen! Und wie sicher ist er sich seiner Sache gewesen, nun endlich eine Kammer zu erhalten, in der die Mehrheit nicht mehr gegen ihn opponieren, sondern ihn in seiner rückschrittlichen Politik unterstützen würde. Krone und Klerus haben in den Wochen vor den Wahlen ganz massiv gegen die liberale Opposition Stimmungsmache betrieben. Doch sie haben die Rechnung ohne das Volk gemacht. Zählte die Opposition vor der Wahl 221 Abgeordnete, so wuchs sie nun sogar noch auf 274 von 401 Abgeordneten.
Das muss ihn so hart getroffen haben, dass er seine einzige Rettung darin sah, quasi einen Staatsstreich von oben zu wagen! Denn nichts anderes bedeuten diese vier Ordonnanzen.«
»Um was geht es denn in diesen vier Ordonnanzen?«, fragte Jana.
»Sie setzen unsere liberale Charte, unsere Verfassung, praktisch außer Kraft«, erklärte Roland erbost und schlug mit der flachen Hand auf die Zeitung. »Die Pressefreiheit wird aufgehoben! Wir erhalten wieder eine Vorzensur! Außerdem hat sich der König erdreistet die gerade erst gewählte Kammer wieder aufzulösen und neue Wahlrechtsbestimmungen zu erlassen, die eindeutig zu Lasten der Opposition gehen. Das ist Verfassungsbruch. Aber wenn er glaubt, er kommt damit durch, dann irrt er sich! Wir werden dagegen angehen und um unsere Rechte kämpfen! Mit Druckerschwärze – und notfalls auch mit der Waffe!«
Tobias glaubte fast seinen Onkel reden zu hören. »Ist es so schlimm?«
»Paris ist wie ein Pulverfass! Und König Charles hat mit seinen vier Ordonnanzen die Lunte in Brand gesetzt«, sagte Roland und griff damit zu einem drastischen Vergleich um den Ernst der Lage zu veranschaulichen. »Es fragt sich nur, wann das Pulverfass hochgeht und welche Folgen diese Explosion haben wird. Aber eines ist sicher: Hinnehmen werden wir diese Machenschaften des Bourbonen nicht.«
Jana machte eine bedenkliche Miene. »Dann
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