Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
wiederholten. Einer der Küstenwächter verstand genug Russisch, um die Funksprüche zu übersetzen, es handelte sich um die Position eines Treffpunkts vor der Küste.
Die Hubschrauber überflogen das genannte Gebiet und entdeckten eine Motoryacht, die an der durchgegebenen Position ankerte, außer Sichtweite von Rehoboth Beach. Es dauerte nicht lange, und die Motoryacht, ein Charterboot, lichtete Anker, allerdings übernahmen das bereits Matrosen der amerikanischen Küstenwache. Die Männer, die das Boot gechartert hatten, wurden dafür auf einem Patrouillenboot in den Hafen gebracht und der Polizei übergeben. Die Polizei jedoch hatte keine Handhabe gegen sie und musste sie nach vierundzwanzig Stunden wieder laufen lassen. Schließlich war es in den USA nicht strafbar, eine Yacht zu chartern, vor der Küste zu ankern und die Position an Freunde zu funken, auch nicht, wenn das auf Russisch geschah. Außerdem sprach der derzeitige Hauptfeind Amerikas eine andere Sprache.
Sonntagsausflug
Auf Umwegen waren sie mit ihrem klapprigen Golf über Zubringer und Autobahnteilstücke in den Berliner Norden gefahren, um bei den Kindern den Eindruck zu erwecken, dass es ein weiter Weg bis zu ihrem Ausflugsziel wäre. Dort angekommen, rannten die Kinder mit den Beuteln voll getrocknetem Brot gleich zum Wasser, um Enten, Schwäne und die fetten Karpfen anzulocken. Die Mutter packte das vorbereitete Picknick aus und verwandelte die abgewetzte Bastdecke zu einem geradezu festlichen Mittagstisch.
Ihr Mann, Ludwig Borsig, streckte sich neben der Decke im Gras aus und sah ihr tatenlos zu. Trotz seiner nun schon fünf Jahre andauernden Arbeitslosigkeit hatte sich an der Rollenaufteilung in der Familie nichts geändert. Nein, das stimmte nicht ganz, denn mittlerweile war Elsa Borsig nicht nur für den Haushalt zuständig, sondern hielt mit ihrem Lohn als Putzfrau, Schneiderin, Kellnerin und was sich ihr sonst bot, die vierköpfige Familie über Wasser. Das wurmte sie gewaltig, aber sie hatte sich vorgenommen, an diesem herrlichen sonnigen Sonntag, vor allem den Kindern zuliebe, den Dauerstreit mit ihrem Mann darüber auszusetzen.
Sie hatten schon oft die Karower Teiche im Norden von Berlin besucht. Ein herrliches Fleckchen Erde. Für die Kinder bedeutete es eine Abwechslung von dem tristen Alltag in der Plattenbausiedlung, und es war vor allem ein Vergnügen, das sie nichts kostete. Ganz im Gegensatz zu dem Ausflug in den Freizeitpark vor drei Wochen, bei dem sie ein Vermögen gelassen hatten.
Ludwig Borsig war nach der zur Hälfte geleerten Flasche Rotwein eingeschlafen, seine Frau blätterte in Klatschblättern, die sie aus dem Papiercontainer gefischt hatte. Es herrschten Ruhe und Frieden. Jedenfalls so lange, bis ein schrilles Kreischen die beiden aufschreckte und zum Ufer hetzen ließ, mit dem Schreckensbild im Kopf, gleich eines ihrer Kinder halbtot aus dem Wasser ziehen zu müssen.
Doch nicht das war es, was die Kinder hatte entsetzt aufschreien lassen, sondern die aufgeblähte, nackte Leiche, die wie eine Schaufensterpuppe in dem leicht bewegten Wasser zwischen den Schilfhalmen schaukelte. Steif und mit offenen Augen, die in den Himmel stierten. Das hier sehr dicht wachsende Schilf hatte sie vermutlich vor der Gier größerer Vögel geschützt. Schrecklich war es anzusehen, wie die Arme der Toten in unregelmäßigen Abständen zuckten, so als wollten sie die Balance halten. Schnittwunden an den Innenseiten der Unterarme erklärten später das Phänomen, das die Leiche zum Schaukeln brachte, als wäre noch Leben in ihrem Körper. Fische waren es, die an die Arme stießen, angelockt von den offenen Wunden.
Elsa Borsig drückte die Gesichter ihrer Kinder an sich und schloss die Augen. Der Anblick war zu grässlich und würde sie in den kommenden Nächten verfolgen, da war sie sich ganz sicher. Die Tote war noch ein Kind, ein Mädchen, etwa im selben Alter wie ihre Tochter. Die Tränen liefen von selbst. Elsa Borsig dachte an die Mutter des toten Mädchens.
Die Borsigs besaßen kein Handy, deshalb rannte Ludwig los mit den Worten: »Mach de Kleenen in det Auto, ick hol de Polente, eena wird hier ja wohl een Handy ham«, und deutete auf eine Gruppe von Wanderern etwa 500 Meter weit von ihnen entfernt.
Grillen
Die Toskana lässt grüßen, dachte Walcher und lauschte dem Konzert unzähliger Grillen und Heuschrecken, die in ihrem Liebestaumel das Allgäu in eine südliche Landschaft verzauberten. Vielleicht brachten ihm die
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