Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
sondern drehte sich um und ging ins Haus.
Eine Entscheidung
In voller Lautstärke wuchtete Beethovens Neunte aus den Boxen. Walcher saß mit einem Glas Sherry, dem letzten Tropfen, den das Fass im Keller hergegeben hatte, im dunklen Wohnzimmer und dachte an den kommenden Tag.
Er würde nach Frankfurt fahren und sich mit Susanna treffen. Walcher quälte sich nun schon seit mehreren Wochen mit der Frage herum, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Sie war eine wunderbare Frau, aber solange er eine Art Lisa-Ersatz in ihr sah, sollte er wohl nicht mit ihr zusammenleben.
Susanna Reif kannte er seit seiner Recherche über Organhandel, eine üble Story, in die Susanna aber nur am Rande verwickelt gewesen war. Sie hatten sich danach einige Male getroffen, auch bei ihm auf dem Hof, natürlich auch deshalb, damit Irmi und Susanna sich kennenlernten. Die beiden waren gut miteinander klargekommen, und Walcher hatte Susanna stolz seinen Hof gezeigt.
Den außergewöhnlichen Gewölbekeller, den alten Stall, die Milchkammer, den Heuboden – alles, natürlich auch den traumhaften Blick auf die Allgäuer Hügel und Berge. Er hatte sie mit Bärendreck und Rolli bekannt gemacht und war mit ihr durch die Umgebung gewandert. Nichts hatte er ausgelassen, weder die Sicherheitsanlage des Hauses noch den Giftschrank im Wohnzimmer, und auf dem alten Traktor war er auch mit ihr gefahren, rund um den Hof herum – so, als wollte er seiner zukünftigen Frau ihr neues Zuhause schmackhaft machen.
Kurzzeitig erlebte Walcher das Gefühl, wieder eine Frau gefunden zu haben, mit der er sich ein Zusammenleben vorstellen konnte. Aus seinem Taumel erwachte er erst, nachdem sie miteinander geschlafen hatten. Es war eine wundervolle Nacht gewesen, in der sie sich zärtlich verführt hatten und hoffnungsfroh in die Zukunft blickten. Doch als er aufgewacht war, hatte er eine grässliche Traurigkeit empfunden. Die Frau neben ihm war nicht Lisa …
»Verstehe mich bitte … Gib mir noch etwas Zeit … Ich glaube, es kann zwischen uns eine große Liebe wachsen … Ich finde dich großartig …« Vieles hätte er ihr sagen wollen, vor allem aber hätte er von Lisa erzählen müssen. Aber da war diese Blockade – und so waren die zwei Tage bis zu ihrer Abreise von einer seltsam abwartenden Stimmung geprägt.
Seine Anläufe, mit ihr über Lisa und seine Trauer zu reden, blieben halbherzig und erschöpften sich in vagen Andeutungen über zurückliegende Erlebnisse, selbst als ihn Susanna nach dem Grund für seine plötzliche Traurigkeit gefragt hatte.
Anstatt den Ball aufzugreifen, hatte er ihn passieren lassen und irgendwas von einer Frau gefaselt, die ihn nicht losließe, worüber er aber noch nicht sprechen könnte. Noch im Nachhinein wurde es ihm ganz flau im Magen. Dieses grässliche Gefühl musste er endlich aus der Welt schaffen und Susanna um Verständnis und Geduld bitten. Er wollte Susanna nicht verlieren, da passte so vieles zusammen.
Ein leichtes Stupsen an der Schulter ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. Beethovens Neunte lief noch.
»He, he, he, ich schreibe morgen eine Mathearbeit«, brüllte Irmi ihm ins Ohr. Walcher stellte die Musik leiser und entschuldigte sich.
Im Licht der Stehlampe, die Irmi angeknipst hatte, sah sie Walcher prüfend an. Irmi hatte ein feines Gespür für seine Stimmungen. Wenn sie ihn so antraf, steckte er bisher meist im Loch der Lisa-Erinnerung. »Solltest du morgen um Susannas Hand anhalten wollen – meinen Segen hast du«, meinte sie und traf mit ihrem Versuch einmal mehr ins Schwarze.
»Um Susannas Hand werde ich zwar nicht anhalten, aber du hast recht, mir geht das Treffen mit ihr im Kopf herum«, gab er zu. »Ich werde Susanna morgen sagen«, Walcher spürte instinktiv Irmis Anspannung, »dass ich noch Zeit brauche.«
Irmi nickte. »Du wärst besser auch zu Margarethe gegangen. Was sie mir beigebracht hat, kann auch für einen Erwachsenen nicht verkehrt sein.«
Walcher sah sie verdutzt an. Margarethe Krug war Kinderpsychologin und Irmis Therapeutin. Irmi sprach jetzt aus, was auch Margarethe damals schon zu ihm gesagt hatte.
Irmi hatte drei, vier Monate gebraucht, bis sie über Lisas dramatischen Tod überhaupt erst zu sprechen begann, er dagegen quälte sich heute noch damit herum.
»Lass nicht zu, dass sich Lisas Tod so tief in ihre Erinnerung eingräbt, dass er nie mehr an die Oberfläche gelangt, sprich offen mit ihr darüber«, hatte Margarethe ihm geraten und dann noch auf den
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