Falkenjagd: Ein Fall für Robert Walcher (Ein Robert-Walcher-Krimi) (German Edition)
Nachkommen jener Grillen ein Ständchen, die Irmi vergangenes Frühjahr im Gartencenter vor dem sicheren Tod als Schlangen-und Echsenfutter bewahrt und hier auf dem Hof ausgesetzt hatte. Immerhin die Insassen von fünfzehn Pappschachteln, also etwa hundertfünfzig Grillen, die Irmi in die Freiheit entlassen hatte. Walcher hatte sie bewundert, mit welchem Starrsinn und welcher Opferbereitschaft sie ihre Rettungstat durchgesetzt hatte, denn ohne zu zögern verzichtete sie für drei Monate auf ihr Taschengeld.
Er schloss die Augen, er fühlte sich gut, aber etwas müde. Erst kurz vor Beginn der Dunkelheit war er aus Frankfurt zurückgekommen und hatte Rolli von den Großeltern geholt. Dort traf er auch Irmi, die aber bei einer Freundin übernachten wollte und deshalb nicht mitkam.
Nun saß er im Gras und lehnte mit einem Glas Wein in der Hand am Apfelbaum vor der Terrasse. Drei kritische Situationen auf dem Schlachtfeld Autobahn unversehrt überlebt zu haben, schien ihm Grund genug, auf das Wohl seines Schutzengels einen Schluck zu trinken.
Es roch nach frischem Heu, und er dachte an Susanna und wie schön es wäre, sie jetzt an der Seite zu haben. Ihr die Sterne über dem Allgäu zu zeigen, jeden einzelnen, und dabei den Grillen zuzuhören.
Selig lächelnd nahm er diesen Gedanken mit in den Halbschlaf, gegen den er sich nicht wehrte. Eine halbe Stunde nur, solange die Wärme des Tages noch wirkte, gestand er sich zu. Das gewaltige Konzert der Heuschrecken und Grillen begleitete ihn in seinen Kurzschlaf, der aber durch das Klingeln seines Handys abrupt unterbrochen wurde.
Kommissar Brunner raunzte ihn hörbar missgelaunt an: »Na endlich«, und kam sofort zum Thema. »Wir haben die Website www.worldwideheiratenfrauen.com durchleuchtet. Höchst ominös, sage ich Ihnen. Um das Prinzip zu kapieren, muss man im Internet aufgewachsen sein. Diese worldwideheiraten-Betreiber fielen jedenfalls aus allen Wolken und ahnten überhaupt nicht, dass man sich von einzelnen Fotos auf ihrer Homepage aus in ein neues Portal einloggen kann. Da hat ihnen einer wohl ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Wirklich raffiniert. Und nicht nur auf ihrer Website, auch bei mehreren anderen Anbietern auf dem Sektor Heiratsmarkt sowie auf Porno-Seiten haben unsere Spezialisten solche versteckten Links entdeckt. Absolut gekonnt und tückisch.«
Walcher stand auf und tappte noch etwas benommen in die Küche. Mit dem Handy am Ohr füllte er sein Glas und ging zurück auf die Terrasse. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass Brunner für seinen Bericht länger brauchen würde.
»Wer einen solchen Link anklickt und weiterverfolgt«, hörte er den Kommissar erzählen, »dessen Anmeldung geht per E-Mail nach Bangkok und von da aus weiter auf die Cayman-Inseln, von wo er dann eine Antwort aus irgendeinem der vielen Internetcafés mit der Aufforderung erhält, einen Bürgen zu nennen. Keinen Bankbürgen versteht sich«, schob Brunner ein, »sondern einen Fürsprecher, jemanden, der bereits Kontakt mit dieser Organisation hatte und als vertrauenswürdig eingestuft wird. Nur dann erhält man per E-Mail eine Liste zur Auswahl, um ein Treffen mit der angebotenen Ware, Frauen, Mädchen, Jungs, je nachdem, zu vereinbaren. Hören Sie mir überhaupt noch zu?«
Walcher bejahte, worauf Brunner eine Pause machte, die so lange dauerte, wie man für einen Schluck Williams benötigte, bevor er weitersprach .
»Also, da kämen wir nur dann weiter, wenn Sie den Comte oder auch diesen Maurice Delwar als Bürgen nennen könnten. Sie sind momentan vermutlich der Einzige, den man akzeptieren würde. Im Gegensatz zu Ihnen würde ich oder einer unserer Beamten einer Überprüfung garantiert nicht standhalten.«
Walcher war inzwischen wach und konnte sich nicht zurückhalten festzustellen: »Also, da wäre ich mir nicht so sicher. Wenn ich an die Pressemeldungen der letzten Zeit denke, nach denen sich ganze Polizeidienststellen im Internet Pornos reingezogen haben sollen, dann sollte man vielleicht erst mal die eigenen Kontakte nutzen, meinen Sie nicht?« Schon beim letzten Wort bedauerte Walcher seinen Zynismus. Die entstehende Pause ließ vermuten, dass er Brunner schwer getroffen hatte. Umso verblüffender war Brunners Reaktion.
»Ich hätte wetten sollen«, stöhnte er gekünstelt laut, »dass ich Derartiges von Ihnen zu hören bekomme. Als zweite Wette hätte ich darauf gesetzt, dass Sie mich fragen, warum wir für solch einfache Ermittlungen ganze zehn Tage benötigt
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