Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
gerissen. Einerseits wollte er die Wissbegierde des Jungen stillen, andererseits wusste er um die Sorge von Bretta. Letzten Endes aber überwogen sein aufrichtiger Stolz und seine Freude an Sivella. Er schenkte der jungen Frau ein entschuldigendes Lächeln. Sie zuckte schicksalsergeben mit den Schultern und wandte den Blick wieder dem Fluss zu, der träge vor ihnen dahinfloss.
»Ich wurde zwei Jahre ausgebildet, bevor ich reif war für den Bund«, begann Rael und lächelte Triel an. »Während all der Zeit habe ich immer versucht, nicht darüber nachzudenken, ob ich auserwählt werden würde oder nicht. Du weißt doch, dass es nicht willkürlich geschieht, oder?«, fragte er.
Triel nickte stumm.
»Schließlich war es so weit. Alle vierzehn Lehrlinge aus jenem Jahrgang wurden in die Bruthalle gerufen.«
Rael schloss die Augen und atmete tief ein und aus.
»Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Wir waren alle so aufgeregt. Aber es gab nur neun Eier. Wir wussten genau, dass fünf von uns leer ausgehen würden, und die Angst davor war kaum zu unterdrücken. Aber furchtsame Erwartung hätte die Küken nur verwirrt, deshalb haben wir unsere Gedanken darauf gelenkt, sie mit Liebe und Fürsorge zu empfangen.«
Er schlug die Augen auf und schenkte Triel erneut ein Lächeln. »Hört sich nach einer guten Lebensweisheit an, oder?«
»Ist es denn gut, seine Angst zu unterdrücken?«, unterbrach ihn Bretta unverhofft.
Er blickte sie verwirrt an, doch dann verstand er.
»Ich würde sagen, das hängt davon ab, woher die Angst rührt«, antwortete er schließlich. »Wenn es einen echten Grund gibt, kann der einzige Weg zum Selbstschutz sein, sie herauszulassen. Und auf lange Sicht ist es wahrscheinlich gesünder.«
Sie nickte und ließ ihren Blick wieder auf den Fluss gleiten. Doch nun wusste Rael, dass sie jedem seiner Worte lauschte.
»Wie auch immer«, fuhr er fort. »Irgendwann wurde mir klar, dass meine Angst unsinnig war. Der Grund dafür ist schwer zu erklären, aber ich hatte plötzlich das Gefühl, dass in jenem Augenblick alles vollkommen war. Was geschehen sollte, würde geschehen. Entweder würde ein Küken darunter sein, das den Bund mit mir eingehen wollte, oder nicht. Es schien alles plötzlich unglaublich einfach. Mir wurde ganz leicht ums Herz, und ich widmete mich völlig dem bedeutsamen Moment, ohne einen sorgenvollen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden.«
»Aber Ihr habt den Bund gleich bei jenem ersten Versuch schließen können, oder?«, rief Triel aus, der die Spannung nicht mehr ertragen konnte.
»Ja«, bestätigte Rael. »Und Sivella war die Erste, die schlüpfte. Dass sie ein Weibchen war, haben wir erst später bemerkt. Doch ich hörte ihren Namen in meinem Kopf so deutlich wie eine Glocke. Ich war nicht nur ein vollwertiger Falkner geworden, ich stand darüber hinaus auch noch im Bund mit einem Falkenweibchen. Das ist eher selten.«
»Wieso ist das eher selten?«
»Die Eier der Weibchen sind etwas größer und werden für gewöhnlich beiseite gelegt. Man lässt sie getrennt schlüpfen und nimmt sie später für die Zucht. Aber hin und wieder wird eins übersehen.«
»Und wie ist es, mit ihr zu fliegen? Wie war es beim ersten Mal?«
Rael spähte verstohlen zu Bretta. Sie hatte die Arme schützend vor ihrer Brust gekreuzt, als würde sie frieren. Obwohl Rael wusste, dass er die Sehnsucht des Jungen nur noch mehr schürte, konnte er nicht anders, als ihm alles zu erzählen, was er hören wollte.
»Es ist das Allerschönste auf der Welt«, sagte er leise. »Aber es ist auch unmöglich, es zu beschreiben. Man kann es nur selbst erfahren.«
Triel schien sich mit der Antwort abzufinden. »Und was ist mit der Falkenhalle?«, fragte er begierig und gab dem Gespräch eine neue Wende.
»Triel, jetzt ist es aber genug«, mahnte Bretta. »Dein Vater ist gewiss schon auf dem Rückweg. Geh ihm flussaufwärts entgegen.«
»Aber ...«
»Kein Aber! Los, los, setz dich in Bewegung.«
Nur widerwillig stand er auf, ließ mürrisch seine Mundwinkel hängen. Bretta berührte seine Hand, doch er zog sie trotzig weg, nickte Rael noch einmal zu und lief davon.
»Tut mir leid«, sagte Bretta. »Ich weiß, dass ich überempfindlich reagiere, aber ich komme einfach nicht dagegen an. Mir ist klar, dass ich nicht alle Falkner in einen Topf werfen kann ...«
»Ich habe den Eindruck, das tut Ihr schon«, widersprach Rael.
»Aber Ihr seid ein Falkner, und ich ...« Verwirrt brach sie
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