Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
hervor und ließ sich wieder in den Stuhl zurückfallen. »Was war mit Eurem Bruder? Fand er das etwa in Ordnung?«
»Mein Bruder hatte nur eines im Sinn: Er wollte Falkner werden. Er war ganz sicher, dass er den Bund eingehen würde, wenn die Zeit reif war. Er war der Inbegriff des hochmütigen Raidenlehrlings«, beschrieb sie ihn. »Wie ich erfahren habe, ist es ihm jedoch nie gelungen, den Bund einzugehen, obwohl er es wiederholt versucht hat. Ich weiß nicht, was inzwischen aus ihm und meinem Vater geworden ist. Es ist mir auch gleichgültig.«
Etwas regte sich in Raels Gedächtnis, doch er war außerstande, es zu erfassen. »Wie konnte der Fährmann etwas für Euch bezahlen?«, sprudelte er hervor, bevor er sich auf die Zunge biss, weil ihn seine Frage fast reute. »Es ... es tut mir leid! Ich dachte nur ... es sieht nicht so aus, als könnte er sich irgendetwas leisten, als hätte er ...«
»Ich weiß«, unterbrach sie ihn. »Damals hatte er noch große Pläne. Er wollte hierherziehen und die Fähre betreiben. Vermutlich dachte er, der Ort würde sich zu einem blühenden Handelsstützpunkt entwickeln.«
»Ich verstehe immer noch nicht«, gestand Rael. »Warum muss sich jemand eine Frau kaufen? In Sanforan gibt es doch genug davon.«
Einen Augenblick konnte sie nicht antworten. Ihre Lippen zitterten, und sie kämpfte darum, die Fassung zu wahren. Erst ein Blick in seine ehrlichen, ernsthaften Züge gab ihr die Kraft weiterzusprechen, und sie flüsterte: »Aber keine so jungen ...«
Rael spürte, wie ihn ein Zorn übermannte, den er in dieser Heftigkeit noch nie zuvor verspürt hatte. Ihm fehlten die Worte, doch seine Miene sprach Bände.
»Schaut nicht so betreten drein«, sagte Bretta. Sie hatte jedes Zittern aus ihrer Stimme verbannt. »Am Anfang war es schon schlimm, das will ich nicht leugnen. Viele Monde lang hatte ich vor meinem Mann so große Angst, dass ich sogar daran dachte, mir das Leben zu nehmen. Dann wurde ich schwanger, und alles hat sich verändert. Es war eine schwierige Zeit, und bei der Geburt wäre ich fast gestorben. Lurd wurde von Reue gepackt und versucht seither auf seine Weise, alles wieder gutzumachen. Natürlich fällt mir das Vergessen und Verzeihen schwer, aber was hat es für einen Sinn, in der Vergangenheit zu leben? Es ist in vielerlei Hinsicht besser geworden. Und so abgeschieden und unbedeutend dieses Dorf auch sein mag, wir haben alles, was wir brauchen. Außerdem ist es ruhig hier: ein guter Ort, ein Kind gesund großzuziehen.«
Rael blickte ihr tief in die Augen, in die Augen einer Frau, die kaum älter sein konnte als er selbst, und erkannte Mut und Trotz darin. Wie sie sich mit ihrer Lage abfinden und ihre gegenwärtigen Lebensumstände als gut bezeichnen konnte, überstieg sein Denkvermögen. Dennoch verebbte sein Zorn, und er hoffte, dass sie in seinen Augen das las, was er ehrlich empfand: Bewunderung statt Mitleid. Ihre Entschlossenheit, das Beste aus ihrem Leben zu machen, verdiente Anerkennung.
Er stellte keine weiteren Fragen und löffelte seine Suppe. In diesem Augenblick flog die Tür auf. Triel stürmte herein, und die Stimmung im Raum hob sich mit einem Mal.
»Die Stute ist getränkt und grast jetzt«, rief er überschwänglich. »Ich hab sie ein Stück flussabwärts an 'ner langen Leine angebunden. Schattig ist es dort auch.«
Lächelnd schaute Rael ihn an. »Danke«, sagte er. »Und deine Mutter versorgt mich hier bestens, genau wie du's versprochen hast. Ich werd's allen anderen gegenüber erwähnen, die mir unterwegs begegnen.«
Triel strahlte vor Freude, dann sah er sich im Raum um.
»Wo ... Wo ist der Falke? Wo ist Sivella?«, fragte er in ehrfürchtigem Flüsterton.
»Irgendwo draußen«, antwortete Rael. »Wahrscheinlich auf der Jagd. Ich werde Verbindung mit ihr aufnehmen, wenn ich mit dem Essen fertig bin.«
»Triel, geh und wasch dir die Hände, und dann komm zum Tisch«, forderte Bretta ihren Sohn auf und scheuchte ihn zur Tür hinaus. Sie wandte sich Rael zu. »Er weiß, dass sein Großvater Falkner war, darum hat er es sich in den Kopf gesetzt, auch einer von ihnen zu werden. Lurd ist recht stolz darauf, dass in den Adern seines Sohnes etwas fließt, das manche für magisches Blut halten. Deshalb spricht er nur allzu gern mit ihm darüber. Ich kann ihn einfach nicht davon abbringen, dem Jungen Flausen in den Kopf zu setzen. Ich will einfach nichts mehr davon hören«, erklärte sie mit unumstößlicher Entschlossenheit. »Für uns
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