Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
fragenden Blick. Sie senkte beschämt die Augenlider.
»Nein. Ich bin Triels Mutter«, flüsterte sie. »Ich war noch sehr jung, als ...«
Ein langes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, dann sah sie herausfordernd zu ihm auf. »Mein Name ist Bretta«, stellte sie sich vor und fegte den ersten Augenblick ihrer Begegnung so mühelos hinfort wie zuvor den Staub in der Tür. »Bitte kommt doch herein. Es ist noch Suppe auf dem Feuer, und ich habe heute Morgen Emmerbrot gebacken. Es ist nur eine bescheidene Mahlzeit, aber ich hoffe, sie wird euch genügen.«
»Rael, Falkner von Nymath, im Bund mit Sivella«, stellte er sich vor und legte die Faust auf die Brust. »Eine solche Mahlzeit wäre mir sehr willkommen.«
Rael ließ Sivella fliegen. Dann wusch er sich die Hände in einer Regentonne an der Ecke der Hütte und folgte der jungen Frau ins Haus. Ebenso überrascht wie schon zuvor, betrachtete er die liebevollen kleinen Sammelstücke, die der kargen Schlichtheit des bescheidenen Innenraums Leben einhauchten. Flussmuscheln und bunte Kiesel schmückten die Türen der bemalten Schränke zu beiden Seiten des Kamins. Auf einem Tisch unter dem Fenster stand eine einfache Tonvase mit Wildblumen in allerlei Farben. Die schweren Leinenvorhänge, die vermutlich den Schlafbereich vom Rest des Raumes trennen sollten, waren bunt gefärbt.
Bretta deutete auf einen der Stühle am Tisch und lud ihn ein, sich zu setzen. Er nahm Platz und beobachtete, wie sie seine Mahlzeit vorbereitete. Sie bewegte sich so anmutig und entschlossen, gar nicht so, wie man es von einer jungen Frau in der einfachen Hütte erwartet hätte. Er konnte nur schwer seine Neugier unterdrücken. »Woher stammt Ihr, Bretta?«, fragte er, als sie eine Schüssel mit Suppe und ein Stück Brot vor ihm auf den Tisch stellte.
»Mögt Ihr einen Becher Calba?« Sie überging seine Frage geschickt.
»Wasser wäre schön«, antwortete er und fuhr unbeirrt fort. »Ihr kommt aus Sanforan, nicht wahr?«
Bretta ließ sich Zeit, das Wasser in einen Becher zu gießen, bevor sie damit zurückkam und es neben ihm abstellte.
»Ja!«, antwortete sie knapp.
»Bitte setzt Euch zu mir«, forderte er sie auf und berührte kurz ihren Arm, als sie gerade wieder weggehen wollte. »Triel hat gemeint, Ihr hört gerne Neuigkeiten. Vielleicht habe ich ja die eine oder andere für Euch.«
»Triel redet viel Unsinn daher«, meinte sie, doch der traurige Klang in ihrer Stimme widersprach dem, was sie sagte.
»Bitte«, beharrte er und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber.
Zögernd setzte sie sich, dann aber schaute sie auf und blickte ihm mit festem Blick in die Augen. Ihre direkte Art verwirrte Rael. Irgendetwas an ihrem Gesicht schien ihm vertraut, und er war fest entschlossen, das Geheimnis zu ergründen, das sie umgab. Er seufzte.
»Erzählt mir, wie kommt es, dass es Euch hier mitten in ein Nirgendwo verschlagen hat«, bat er eindringlich. »Das passt einfach nicht.«
Ein spöttisches Lächeln blitzte in ihren Zügen auf.
»Es scheint nur nicht zu passen«, sagte sie. »Ihr seid ein Raide ... und ein Falkner. Ihr wisst doch, wie das ist.«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, anscheinend nicht.«
Wieder sah sie ihm in die Augen und suchte darin nach einer Spur von Arglist, erkannte jedoch nur aufrichtige Verwirrung.
»Ihr habt recht. Ich stamme aus Sanforan. Mein Vater war Falkner. Als sein Falke an Altersschwäche starb, wie es nun mal unvermeidlich geschieht, vergrub er sich in seinem Kummer. Er lebte fortan nur für das Eine: Er wollte, dass auch mein Bruder Falkner werden würde. Jeden Pent, den wir hatten, gab er aus, damit er in der Falkenhalle aufgenommen werden würde. Und als er schließlich an der Reihe war, den Bund mit dem Falken zu schließen, glaubte mein Vater immer noch, er könnte ihm den sicheren Erfolg erkaufen - als könne man lenken, wer den Bund eingehen wird und wer nicht. Er war wie besessen. Seine Tochter bedeutete ihm nichts. Sie war wertlos und kostete nur. Irgendwann«, sie stockte, »... verkaufte er mich, als er glaubte, dass ich alt genug sei.«
»Er hat was getan?«, rief Rael entsetzt, sprang vom Stuhl auf und starrte ungläubig auf sie herab. »Er hat Euch verkauft? Man kann doch einen Menschen nicht verkaufen! Das ist lächerlich! Was ist mit Eurer Mutter? Gewiss hätte sie dem doch niemals zugestimmt!«
»Meine Mutter starb, als ich noch ein kleines Kind war.«
»Und es gab niemanden, der sich für Euch eingesetzt hat?«, stieß er
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