Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
mitten im Satz ab und sprang auf. »Ich gehe und bereite Lurds Abendessen vor«, sagte sie, stand auf und eilte, ohne einen Blick zurückzuwerfen, los.
»Bretta!«, rief er ihr nach.
Doch entweder hörte sie ihn nicht, oder sie wollte ihn nicht hören.
»Was bist du doch für ein tollpatschiger Trottel!«, schalt er sich leise. »Führst dich auf, als hättest du gerade mal zwei Körnchen Verstand im Kopf.«
Er konnte sich nicht erinnern, je in seinem Leben so verlegen gewesen zu sein. Der Gedanke an Bretta ließ ihn das Blut zu Kopfe steigen und sein Herz schneller schlagen. Sie schien so stark und verletzlich zugleich, und er sehnte sich danach, sie zu beschützen. Doch schließlich war sie eine verheiratete Frau und hatte bereits einen Mann, der sich um sie kümmerte. Gewiss, der Beginn ihrer Ehe war alles andere als recht und glücklich gewesen, aber es stand ihm nicht zu, darüber zu urteilen. So, wie sie es beschrieb, bemühte sich ihr Mann mittlerweile um sie, und das sollte genügen.
»Also nimm dich zusammen, du trotteliger Hohlkopf!«, tadelte er sich selbst, als könnten Worte ihn wieder zur Vernunft bringen.
Inmitten dieses Sturms der Gefühle stieß Sivella zu ihm herab und kreischte. Rael konnte gerade noch rechtzeitig aus seinen Gedanken auftauchen, zog den Falknerhandschuh an und streckte ihr die Faust zur Landung entgegen.
»Von Südwesten kommt ein Sturm auf.« Es war Triel, der ihn eine ganze Weile später ansprach. Der Falkner hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren und nicht einmal die starke Brise wahrgenommen. Äste und Zweige neigten sich im Wind und warnten vor einem bevorstehenden Wetterumschwung.
»Mein Vater ist zurück. Er sagt, wenn Ihr heute noch übersetzen wollt, muss es jetzt gleich geschehen!«
»Ich kann mir keine weitere Verzögerung leisten«, sagte Rael und sprang auf. Sivella schlug - aufgerüttelt ob der jähen Bewegungen - mit den Schwingen und beschwerte sich krächzend. Der Junge beobachtete gebannt ihr stolzes Gehabe. Seine Bewunderung erinnerte Rael umso stärker an Brettas ablehnende Haltung gegenüber der Falknerei und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack.
»Lauf und bitte deinen Vater, die Fähre klarzumachen. Ich komme gleich nach.«
Rael schickte Sivella voraus zum Bootsschuppen und ging dann mit Fea Lome am Zügel zur Anlegestelle. Bretta erwartete ihn bereits mit einem Päckchen.
»Ich habe Euch etwas für unterwegs vorbereitet«, sagte sie schnell.
Es war offensichtlich ein Friedensangebot. Als sie es ihm übergab, streiften ihre Hände flüchtig seinen Arm. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, und ihre Augen baten ihn um Verständnis. Er nickte.
»Danke. Das weiß ich sehr zu schätzen«, gab er zurück.
»Möge Gilian Eure Schritte und Flüge lenken«, sagte sie, hob die Hand an die Brust und verneigte sich leicht, bevor sie sich umdrehte und davoneilte.
Rael sah ihr noch eine Weile nach und musterte dann den Fährmann, der mit seinem Sohn die Fähre klarmachte. In seinem Gesicht lag nichts Verbindliches und auch keine Lebendigkeit. Die Spuren harter Arbeit hatten sich deutlich in seine Züge eingegraben und schlossen auf ein unzufriedenes Wesen.
Sobald die letzten Vorkehrungen getroffen waren, blickte er zu Rael auf. »Ihr könnt die Stute jetzt an Bord bringen.«
Rael verabschiedete sich von Triel und führte Fea Lome auf die Fähre. Sie war kaum mehr als ein einfaches Floß mit einem überdachten Platz und ein paar schlichten Sitzbänken für die Fahrgäste. An einer hölzernen Reling konnte man Pferde und anderes Viehzeug anbinden. Zwei straff gezogene, dicke Taue waren über den Fluss gespannt und verliefen durch eiserne Ringe entlang beiden Seiten des Gefährts. Wenn der Fährmann seine Fähre über den Fluss stakte, sorgten sie dafür, dass er nicht flussabwärts trieb.
Rael war nicht der Einzige, der übersetzen wollte. Drei Bauern saßen bereits auf einer der Bänke, und im letzten Augenblick sprangen noch zwei Wunand-Amazonen an Bord. Sie warfen Lurd ein paar Münzen zu und bedachten ihn mit einer kurzen Begrüßung. Offensichtlich nutzten sie seine Dienste regelmäßig.
»Kommt mal wieder hier vorbei!«, rief Triel zu Rael, als das Floß ablegte.
»Wenn es die Götter beschließen«, gab Rael zurück.
Dann hob er die Faust. Beim Anblick des grazilen Falken, der mit gespreizten Schwingen zur Landung ansetzte, stockte Triel der Atem. Es war ein Bild, das seine Überzeugung bestärkte: Sein Schicksal würde ihn
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