Fall bloß nicht auf!
das wird nicht klappen. Man vergisst nämlich nicht, niemals. Die Gespenster holen dich jedes Mal ein.
Aus dieser Tussi werde ich nicht schlau. Sie ist nicht wie Tammy und die anderen. Die sind hart und lassen sich nichts bieten, sie dagegen ist aufgebracht oder kuscht oder beides. Sie ist bestimmt eine miese Mutter. Nie im Leben hätte ich ein kleines Mädchen wie Jaz bei so einer dusseligen Oma gelassen, die nichts mehr blickt und ihr Haus kaputten Typen von der StraÃe als Drogenhöhle überlässt.
Wenn Jaz mein Kind wäre, hätte ich es keine zwei Minuten aus den Augen gelassen.
Aber in einem Punkt hat sich Trixi in Becky getäuscht. Das Mädchen ist nicht feige. Sie hat Angst, aber das ist nicht dasselbe. Sie hält die Augen immer noch geschlossen, aber ich weiÃ, dass sie hellwach ist und angestrengt nachdenkt.
Wie ich.
Schon seltsam, dass ich jemandem einen meiner Schlafplätze zeige. Ãber den Mann, der hier wohnt, habe ich ihr nicht viel erzählt. Arbeitet auf einer Bohrinsel. Einen Monat ist er drauÃen auf See, einen Monat an Land. Vor ein paar Jahren hab ich das rausgekriegt, und seitdem beobachte ich, wo er sich wann aufhält. Vor Ablauf von drei Wochen kommt er nicht zurück.
Für den Ort spricht einiges. Erstens das altmodische Schloss, leicht zu knacken. Der alte Mann, der nebenan wohnt, ist schwerhörig. Die Wohnung gegenüber steht leer. Leider fehlen Bücher, das ist das Einzige, was mich abhält, öfter hierherzukommen.
Becky schlägt die Augen auf.
»Alles in Ordnung, Becky?«
Statt zu antworten, fragt sie mich: »Wo hast du denn das Messerwerfen gelernt?«
Ich hatte mich schon gefragt, wann sie damit käme. Den ganzen Tag hatte sie die Frage vermieden.
»Geht dich nichts an, wo ich das gelernt habe.«
»Willst du mir damit sagen, dass ich mich nicht in deine Angelegenheiten einmischen soll?«
»Vielleicht.«
Schweigen. Sie schaut mich durchdringend an. Im gedämpften Licht wirken ihre Augen so dunkel wie noch nie. Sie schaut erst auf Jaz, die immer noch neben ihr schläft, dann blickt sie wieder mich an.
»Du hättest sie umbringen können.«
»Hab ich aber nicht. Also, ich hab mein Versprechen gehalten. Ich hab euch einen Unterschlupf für heute Nacht verschafft. Und etwas zu essen dazu.«
»Das nennst du Essen? Eine Büchse Bohnen, eine Büchse Champignons und eine Büchse Mais?«
»Nicht meine Schuld, wenn der Mann sonst keine Vorräte in der Wohnung hat. Gewöhnlich gibt es bei ihm auch Suppe.«
Sie schaut weg. Sie kocht vor Schmerz und Wut. Sie nimmt sich eine Zigarette.
»Lass das«, sage ich.
Sie schaut mich fragend an.
»Keine Zigaretten, Becky.«
»Was soll das jetzt wieder?«
»Ich hinterlasse keine Spuren in den Verstecken, die ich benutze.«
Sie starrt mich nur noch wütender an. Wahrscheinlich war das dumm von mir. Einmal durchlüften hätte genügt, und bis der Mann zurück ist, wäre der Rauch sowieso verflogen. Aber ich bin es nun einmal gewöhnt, keine Spuren zu hinterlassen.
Vielleicht spielt es gar keine Rolle mehr. Vielleicht gebe ich dieses Versteck auf, benutze es nicht mehr. Denn, Bigeyes, ich frage mich, ob diese Stadt für mich nicht erledigt ist, jetzt wo die Gespenster hier sind. Es gibt keine Rückzugsorte mehr. Alles, was ich mir aufgebaut habe, was ich durch langes Beobachten rausgefunden habe, war für die Katz.
Ich muss wieder von vorn anfangen.
In einer anderen Stadt.
Vielleicht werden sie mich auch dort finden. Aber ich muss wieder von vorn anfangen. Und ich muss mir Hoffnung machen.
Becky redet wieder.
»Ich halte Wort.«
Ich schaue sie an.
»Morgen früh bin ich fort«, sagt sie. »Fort aus deinem Leben.«
Langes Schweigen. DrauÃen fahren Autos die Ringautobahn entlang. Sie sind wie ferne Stimmen von unbekannten Menschen, unterwegs zu unbekannten Orten. Stimmen, die sich an niemanden richten.
In meinem Leben ist es jetzt so dunkel.
Wo ist das Licht geblieben?
Erinnerst du dich an das Buch, das ich dir gestern Abend gezeigt habe? Ãber einen Kerl namens Nietzsche?
Der Ãbermensch und der Wille zur Macht . An einer Stelle schreibt er: Was mich nicht umbringt, macht mich nur noch stärker.
Glaubst du das, Bigeyes?
Ich weià es nicht. Ich schaue Becky an und weià es nicht. Ich betrachte mich selbst und weià es nicht. Ich weià gar nicht, ob du mir
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