Fallen Angels 03 - Der Rebell
Luft.
Obwohl er auf Nachfrage eine dieser Lügen als Begründung für sein Flanieren genannt hätte.
Ja, vielleicht waren er und Jim sich tatsächlich ähnlicher, als er geglaubt hatte.
Dennoch hätte ihn das, was er auf der flachen Hand trug, jedem Menschen oder Hund gegenüber, dem er eine solche Erklärung aufgetischt hätte, als Lügner entlarvt: Er hatte einen mit einer Damastserviette abgedeckten Teller bei sich – unter dem edlen Stoff befanden sich ein mit Johannisbeergelee bestrichener Scone, zwei Kekse und eine Erdbeere.
Er verspürte durchaus einen gewissen Widerwillen gegen diese Butler-Tätigkeit. Aber er brauchte eine greifbare Ausrede, um zu gehen, wohin er unterwegs war, und zwar nicht nur für andere wissbegierige Geister, sondern auch für den anvisierten Empfänger des Gebäcks.
Abgesehen davon hatte er nicht nur Süßes für den nicht ganz so Süßen dabei; er hatte Neuigkeiten.
Er kam sich wie ein Riesenblödmann vor, als er sich Colins Zelt näherte, doch der Erzengel hatte sich zu ihrer kleinen Versammlung nicht eingefunden und somit den Bescheid versäumt. Außerdem musste er nach seiner langen Abwesenheit hungrig sein.
Ausreden, Ausreden … Nigel wollte ihn einfach sehen.
Verdammt.
So viel zu einem sauberen Schnitt.
Vor der Zeltklappe räusperte er sich. »Colin?«
Während er wartete, zupfte er die Damastserviette gerade.
»Colin.«
Ach, Schluss mit der höflichen Zurückhaltung.
Er schob sich ins Zelt und blieb stehen. Auf der schlichten Pritsche lagen drei Anzüge bereit, jeder mit passendem Halstuch, Socken und Schuhen.
Die mittlere Kombination aus Schwarz und hellen Grautönen würde ihm am besten stehen, dachte Nigel.
Er stellte den Teller ab und strich über den edlen Ärmelstoff. Seltsam, normalerweise war Colin nicht sonderlich eigen, was seine Kleidung betraf.
Nigel wandte sich ab und musterte die in Leder gebundenen Bücher. Die Truhe. Die Öllampe, die ein sanftes Licht verströmte.
Wo wollte Colin in dem Aufzug nur hin?
Und dann fiel es ihm wieder ein: Der Erzengel war unten bei Edward gewesen, und wo Edward war, da war auch Adrian.
Dieser großmäulige Engel mit der Schwäche für Piercings stand bisher nicht in dem Ruf, sich mit Angehörigen seines eigenen Geschlechts einzulassen, aber so genau befasste sich Nigel nun auch wieder nicht mit diesem Lebensbereich seiner Untergebenen. Zudem war Colin unwiderstehlich. Weshalb ja auch Nigel sich in seiner derzeitigen Lage befand.
Er war solch ein Narr, dachte Nigel. Solch ein Narr.
Mit schnellen Schritten ging er hinaus, schloss die Klappe aber leise hinter sich. Erwischt zu werden wäre das Letzte, was er jetzt …
Ein fröhliches Pfeifen ließ ihn aufhorchen.
Er schlich sich hinter das Zelt und riss die Augen auf: Mitten in der rauschenden Strömung des Bachs stand Colin mit dem Rücken zum Ufer und rieb sich ein weiches Tuch über die Schultern. Eine Seifenschaumspur rann zwischen den Muskeln seines Oberkörpers hindurch nach unten …
Colins Kopf schnellte herum, gefolgt von seiner oberen Hälfte.
Nigel musste heftig schlucken, als ihre Blicke sich trafen. Der Mann vor ihm war ein vertrauter Anblick, und doch auch völlig neu.
»Guten Abend«, grüßte Colin und wandte sich dann wieder dem Einseifen seiner Brust zu.
Er drehte sich allerdings nicht wieder um, während er seine Haut einschäumte, sondern strich mit dem Lappen tiefer, tiefer … tiefer …
»Hast du etwas vor?«, fragte Nigel bitter.
»Ja.«
»Und was?«
Nun wandte sich der Erzengel ganz um … und beim Anblick der eindeutigen Absichten seines männlichen Körpers hätte Nigel am liebsten geflucht. Die Anzüge. Das Waschen im Bach. Das Auslassen der Mahlzeit, als bereitete er sich auf etwas Bestimmtes vor.
Diese Erregung.
Wenn es nicht um Adrian ging, könnte es dann ein menschlicher Bewerber sein? Oder womöglich eine der Seelen im Inneren der Schlossmauern?
»Es gibt Neuigkeiten«, zwang Nigel sich, unaufgeregt zu sagen. »Und zwar wurden sie beim Nachtisch eröffnet.«
»Entschuldige, dass ich nicht da war.«
»Ja.«
Nigels peripheres Sehen erwies sich als schmerzlich ausgeprägt. Obwohl er sich auf Colins Gesicht konzentrierte, war ihm die sorgfältige Zuwendung, die sein Gegenüber seiner Männlichkeit angedeihen ließ, nur allzu bewusst.
Und dabei hieß es, Reinlichkeit sei eine Tugend.
Eher schon Folter.
»Nigel?«
»Du hast außerdem das Hissen der Siegerflagge versäumt, und Jims Besuch.«
»Wofür ich um
Weitere Kostenlose Bücher