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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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Dublin.«
    »In Dublin?« Er kniff die Augen zusammen. »Mein Vater hat in Dublin gelebt?«
    »Er wurde dort geboren«, erklärte ich ruhig. Der arme Kerl war völlig verdattert.
    »Nein. Das würde ich doch wissen, oder? Er hätte es mir gesagt.« Er versuchte ein Lächeln. »Das ist ein Grund, stolz zu sein, wenn man Ire ist«, fügte er galant hinzu. »Oder etwa nicht? Warum sollte er das verheimlichen?«
    »Daniel«, sagte ich so rücksichtsvoll, wie ich nur konnte, mit all dem Schmerz und dem Bedauern, die ich für diese beiden tragischen Liebenden, seinen Vater und meine Mutter, empfand, »ich glaube nicht, daß Ihr Vater verheimlicht hat, daß er Ire ist; ich glaube, er hat sich ganz einfach versteckt. Fast sein ganzes Leben lang.«
    So gut ich es vermochte, erzählte ich ihm alles, was ich wußte. Wie ich auf die Tagebücher gestoßen war und die Geschichte mit dem Mord gelesen hatte. Was die Tatsache, Zeugen dieses schrecklichen Verbrechens geworden zu sein, den beiden angetan hatte. Ich konnte nicht erklären, warum Milo so heftig reagiert hatte, da ich selber noch nicht dahintergekommen war. Es gelang mir jedoch, Daniel meine wachsende Gewißheit zu erklären, daß ihre Ängste, ihr Instinkt sie nicht getrogen hatten, indem ich ihm von meiner zunehmenden Überzeugung erzählte, Lily sei vorsätzlich überfahren worden.
    »Mon Dieu«, rief er aus. »Mein Vater … Ich kann es einfach nicht glauben. Das ist ja schrecklich. Armer, unglücklicher Mann.«
    Ich holte mein Scheckbuch aus der Handtasche, und wir versuchten, zu entschlüsseln, was Milo sich so krampfhaft bemüht hatte, mir zu sagen. Es war aussichtslos. Mir war bereits klar und Daniel wahrscheinlich auch, Gefahr drohte von mehr als einer Seite. Ich schloß, indem ich ihm, wenig überzeugend, eine eher kärgliche Beschreibung meiner seltsamen Abenteuer mit Reynolds und Hanion lieferte. Und von dem Augenblick an ging es vorwärts.
    »Re?« Daniel zog die Augenbrauen hoch.
    Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. »Herrje, wie dumm von mir. Natürlich. Reynolds.«
    »Vater oder Sohn?« fragte er leise.
    »Wer weiß«, meinte ich, doch dann fiel mir etwas ein. »Gehen wir einmal davon aus, daß es der Sohn ist. In seiner Gegenwart habe ich eine richtige Gänsehaut bekommen.«
    »Er hatte Verbindung mit Ihrer Mutter aufgenommen. Und was ist mit meinem Vater?«
    Ich zuckte die Schultern, in meinem Kopf ging wieder alles drunter und drüber. Er hatte irgend etwas ganz nebenbei gesagt; den ganzen Abend über hatte es an mir genagt, und jetzt war es plötzlich da. »Ihr Vater hat Telefon?«
    »Selbstverständlich.«
    »Benutzt er es oft?«
    »Nein, eigentlich kaum. Er betrachtet es als etwas für Notfälle.«
    »Und er steht nicht im Telefonbuch?«
    Er zuckte erneut die Schultern. »Natürlich nicht.«
    »Wie lautet die Nummer?«
    »01865 – warum wollen Sie das wissen?«
    »Keine Spur davon in ihrer Telefonrechnung. Sie muß ihn von Telefonzellen aus angerufen haben.«
    Daniel Garnier lachte herzhaft. »Das brauchte sie nicht, glaube ich. Die Vorwahl für Irland ist, warten Sie mal« – spöttisch sah er mich an – »sagt Ihnen 00353 etwas? Ja? Nun, mein Vater hat sie jeden Tag mindestens einmal angerufen. Vor ein paar Tagen habe ich seine Telefonrechnung bezahlt. Sie war so hoch, daß ich sie überprüft habe. Alle Anrufe, bis auf drei, gingen an die gleiche Nummer. Ich wußte sofort, wer das war. Zum letzten Mal haben sie am neunundzwanzigsten Juli miteinander telefoniert. Daran erinnere ich mich, weil es ein viel kürzerer Anruf war als sonst.«
    »Sie wurde am achtundzwanzigsten getötet«, erklärte ich leise. »Wahrscheinlich hat er mit Mrs. Dwyer gesprochen. Ich habe mich schon gewundert, wie er von ihrem Tod erfahren hat.« Ich starrte in den Abgrund, der sich vor mir auftat. Genauso gut hätte ich am Telefon sein können. Wie viel wäre ihm dann erspart geblieben. Uns allen.
    »Der Mord ist vor so langer Zeit geschehen. Das ist es, was ich nicht verstehe«, unterbrach Daniel mich in meinen Gedanken.
    »Ich auch nicht«, stimmte ich hitzig zu, »ich auch nicht.«
    Das war der Kern der Sache. Eine Vergeltung nach fünfzig Jahren hielt einer genaueren Überlegung nicht stand, sie war sinnlos, abwegig. Ich wußte das, und Daniel wußte es auch. Doch ebenso gut wußten wir, Milos Qual war wirklich, nicht eingebildet. Wir hatten sie mit eigenen Augen erlebt, sein Entsetzen gespürt, seine Angst fast mit Händen greifen

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