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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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etwas dagegen, wenn wir jetzt gehen? Sie müssen völlig fertig sein. Ich bin es jedenfalls.«
    »Ja, ich plötzlich auch. Bleiben Sie ein paar Tage in Oxford?, fragte er.
    »Falls Mme Powers dies gestattet.«
    »Das wird sie.« Er grinste. »Ich würde gerne die Tagebücher lesen und mich dann morgen noch einmal über all das unterhalten, wenn wir nicht so müde sind«, meinte er und fügte zögerlich hinzu: »Wir könnten auch probieren, ob wir in Papas Haus etwas finden. Ich würde gerne wissen …« Er sprach nicht weiter.
    »Warum wohnen Sie eigentlich nicht bei Ihrem Vater?« Den ganzen Abend hatte mir diese Frage auf der Zunge gelegen, und schließlich konnte ich sie nicht mehr zurückhalten. Leicht verdutzt sah er mich an, als hätte er selber sich kaum Gedanken darüber gemacht. Dann zeichnete er mit einem Finger den Umriß seines Ohrs nach und sah mich unverwandt an.
    »Seltsam, nicht wahr?« Er zuckte die Schultern. »Ich weiß es selber nicht. Ich wohne nie dort, habe nie dort gewohnt, sondern immer bei Marie-Claire. Sie ist eine entfernte Cousine meiner Mutter, und die beiden sind seit ihrer Schulzeit miteinander befreundet. Und natürlich war das viel einfacher, als ich noch klein war – die Verpflegung, die Wäsche und so weiter.« Wieder zuckte er die Schultern.
    »Mein Vater mag … wer weiß?« Er hob die Hände, die Handflächen nach außen gekehrt, wieder ganz Franzose. »Er ist eben mal so. Sehr, sehr zurückgezogen. Keine engen Freunde. Nur wenige Leute wissen überhaupt, wo er wohnt, und kaum etwas von ihm selber. Nie habe ich bei ihm irgendwelche Leute gesehen, die ihn besucht hätten, er lebt in seiner eigenen Welt.« Er schnaubte etwas kläglich. »Und wie Sie wissen, habe nicht einmal ich gewußt, wo er geboren wurde.« Er klang verletzt. Ich schämte mich, weil meine Neugierde mit mir durchgegangen war.
    »Das hatten die beiden gemeinsam«, erklärte ich. »Meine Mutter hat auch nie Gäste eingeladen. Nur selten sind Leute zu uns nach Hause gekommen, und nie zum Essen. Ich schäme mich, zugeben zu müssen«, fügte ich kläglich hinzu, »ich dachte, das sei so etwas wie Klassenbewußtsein.« Unsere Blicke begegneten sich; beide waren wir einigermaßen verlegen.
    »Unser Verhältnis zueinander hat das nicht beeinträchtigt, verstehen Sie?« sagte er sehr ernst. »Ich habe ihn immer gerne besucht. Sogar als Kind hat er mich ernst genommen. Er hat viele Interessen, und er ist ein sehr liebenswürdiger, höflicher Mensch. Zurückhaltend, das ja, aber er hat mich immer als gleichberechtigt behandelt. Ganz anders als meine Mutter; die will sich immer um alles kümmern und alles wissen, was so läuft; die Geheimnisse unserer Seele. Manchmal wird mir das zu viel, und dann ergreife auch ich die Flucht. Mein Vater ist taktvoller. Schon als Kind hat mir das gefallen. Und ich habe mich daran gewöhnt. Er ließ mich meinen eigenen Weg gehen, selber meine Entscheidungen treffen. Vielleicht hat er sich nicht dafür interessiert. Ich habe einfach gedacht, er vertraut mir.« Erneutes Achselzucken. »Wie auch immer, so hat es uns beiden getaugt.«
    »Er macht einen sehr, hm, gütigen Eindruck«, meinte ich verlegen. Beinahe hätte ich gesagt: traurig, verletzt, aber auch das schien die Sache nicht genau zu treffen.
    »Ich hoffe, ich habe Sie im Krankenhaus nicht in eine peinliche Situation gebracht. Weil ich geweint habe. Komisch, finden Sie nicht? Dort komme ich mir wie ein Kind vor. Ich bin selber Arzt, und trotzdem bin ich genauso durcheinander wie sonst wer. Zwar weiß ich, was vorgeht, aber das scheint keine Rolle zu spielen. Oder zu helfen. Ich schaffe es nicht, mein Wissen und meine Gefühle in Einklang miteinander zu bringen. Er ist mein Vater, und ich liebe ihn. Ich will nicht, daß er stirbt. Vor allem jetzt nicht, da so viel …«
    Dabei mußte ich natürlich an Lily denken. Aber ich dachte auch an etwas anderes. Ich dachte, was hat dieser Mann für ein Glück, vor dem Tod seines Vaters zu wissen, wie sehr er ihn liebt. Ich mußte bis nach Lilys Tod warten, ehe mir meine tiefe Zuneigung und die Endgültigkeit des Verlustes bewußt wurden. Um dieses Wissen beneidete ich ihn, und um die Schlichtheit, mit der er dies zum Ausdruck brachte. Ich betrachtete ihn jetzt mit anderen Augen. Und mochte ihn. Daniel Garnier hatte keine Macken. Was für mich irgendwie etwas ganz Neues war.
    Als wir das Restaurant verließen, war es schon spät. Der Wagen parkte ein ziemliches Stück weit entfernt, und nach

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