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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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natürlich fürchterlichen Hunger und gierte förmlich nach einer Zigarette.
    »Ich würde gern noch eine Stunde oder so hierbleiben. Bis er sich beruhigt hat. Wir bekommen dann immer noch etwas zu essen, wenn Sie es bis dahin aushalten«, erklärte Daniel unvermittelt.
    »Ich sollte nach Hause zurückfahren …« Ich kam mir furchtbar unbeholfen vor, hatte den Eindruck, im Weg zu sein. Außerdem hatte ich das Gefühl, teilweise an der schrecklichen Erregung seines Vaters schuld zu sein.
    »Ich hatte gehofft, Sie würden bleiben, ihn morgen besuchen?« Er versuchte, dies leichthin zu sagen, dennoch war es eine flehentliche Bitte. Ich schluckte krampfhaft und sah ihn an. »Das meine ich ernst«, sagte er.
    »Gleich morgen früh komme ich wieder.«
    »Dann könnte es zu spät sein. Können Sie nicht bleiben?« fragte er freundlich, aber beharrlich.
    Ich sah auf die Uhr. Erst zwanzig nach neun, aber ich hatte das Gefühl, es sei mitten in der Nacht. »Ja, natürlich, wenn Sie meinen … Ich vermute, Sie wissen nicht zufällig ein Hotel, in dem ich …«
    »Ich wohne in einer sehr guten Pension ganz in der Nähe, dort ist ein Zimmer frei.«
    »Gut.« Ich fragte ihn nicht, woher er das wußte, ich war zu verwirrt. Ich wollte heim, trotzdem hatte ich versprochen zu bleiben. Er tat mir so leid. Es war unglaublich, daß er sich jetzt, wo so viel auf einmal passierte, veranlaßt sah, sich auch noch um mich zu kümmern.
    »Dr. Garnier? Hinkt Ihr Vater?«
    »Ja, er hat im Krieg ein Bein verloren.« Er senkte den Kopf, plötzlich überwältigt von Kummer. Er verschränkte seine flattrigen Finger und rieb nervös seine Handflächen aneinander. Seine Hände sahen denen seines Vaters überhaupt nicht ähnlich: breit, stark, ziemlich kurze, dicke Finger, die nicht zu seiner hochgewachsenen, schlanken Gestalt paßten. Nach einer Weile bemerkte er mein Starren und streckte seine Finger vor mir aus.
    »Bauernhände.« Er zwang sich zu einem ironischen Lächeln. »Wie die meiner Mutter und meines Großvaters. Wie der Zufall es so will, recht praktisch für einen Orthopäden. Da ist es ganz nützlich, wenn man fest zupacken kann. Alle diese übergewichtigen Arthritiker.«
    Die Mühe, die er sich gab, schaffte mich fast. Meine Gedanken waren ein einziges Kuddelmuddel, sie rasten von Lily zu Milo zu … was? Gefahr. Er hatte Gefahr gesagt.
    »Was möchten Sie?« unterbrach Daniel mich in meinen Gedanken.
    »Zwei-sieben«, antwortete ich, ohne zu überlegen.
    Er sah mich verdutzt an. »Zwei-sieben?«
    »Kaffee schwarz, ohne Zucker. Sie müssen bei dem Automaten da auf zwei-sieben drücken, um das zu kriegen. Wir haben den gleichen im Büro. Und so nenne ich das Zeug, das dann rauskommt – Kaffee ist es mit Sicherheit nicht. Ich hol uns welchen. Für Sie auch zwei-sieben?«
    Er beobachtete mich teilnahmslos, wie ich mit dem Automaten kämpfte. Am Ende trank keiner von uns das abscheuliche Gebräu, wir starrten es lediglich trübsinnig an, bis eine der Schwestern »Danny« wieder ans Bett seines Vaters rief. Während er weg war, rief ich Maria an, um ihr zu sagen, daß ich in Oxford bliebe. Als ich ihr erzählte, ich hätte den Mann auf dem Photo gefunden, war sie ganz aus dem Häuschen, hielt sich jedoch Gott sei Dank zurück. Vielleicht klang ich mitgenommener, als mir selber klar war.
    »Wie lange bleibst du weg, Nell?«
    »Solange es nötig ist. Er ist sehr krank, Maria. Sieht schrecklich aus, der Arme.«
    Ich versprach, sie am nächsten Tag anzurufen und hatte eben den Hörer aufgelegt, als Daniel auftauchte, aschfahl. Er stolperte in den Raum, stürzte auf den nächstbesten Tisch zu und vergrub den Kopf in den Händen. So still war es in dem Raum, man konnte das schwache Ticken der elektrischen Uhr hören. Er weinte, untröstlich, seine Schultern zuckten heftig. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Verzweifelt wünschte ich mir, ihn zu trösten, aber ich hatte keine Ahnung, wie. Ist das nicht immer so? Ich wartete, bis der Sturm sich gelegt hatte, dann setzte ich mich zu ihm an den Tisch. Ich weiß nicht, wie lange wir da saßen und einander anschauten, ohne uns zu sehen, unsere Gedanken nach innen gerichtet.
    Ein junger Arzt brach den Bann; er schien wie betäubt vor Erschöpfung. Ohne mich zur Kenntnis zu nehmen, berührte er Daniel an der Schulter und winkte ihn auf die Seite. Flüsternd unterhielten sie sich kurz, dann gingen sie. Ungefähr zehn Minuten später kam Daniel zurück; er wirkte ungemein erleichtert.
    »Er ist okay,

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