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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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er hat es überstanden.« Er lächelte. »Jetzt ruht er sich aus. Er hat sich in einen schrecklichen Zustand hineingesteigert und immer wieder nach Ihnen Ausschau gehalten. Ich habe ihm versprochen, Sie morgen früh zu ihm zu bringen. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden?«
    »Ja, natürlich. Aber«, ich zögerte, »ich werde ihn doch nicht noch mehr aufregen und seinen Zustand verschlimmern, oder?«
    »Nein. Nur Ihretwegen hält er durch.« Er lächelte auf mich herunter.
    »Geht es ihm jetzt gut? Ich kann mir ohne weiteres selber ein Hotel suchen, falls Sie über Nacht bei ihm bleiben wollen.«
    »Nein. Jetzt schläft er, er ist erschöpft. Ich wäre nur im Weg.« Erneut lächelte er und sah einen Augenblick lang fast glücklich aus. »Also, ich weiß nicht, wie es bei Ihnen aussieht, aber ich bin regelrecht ausgehungert.« Er straffte die Schultern. »Okay. Gehen wir was essen.«

26
    Im Konvoi fuhren wir zu Mrs. Powers Pension, die stilvoll, luftig und peinlich sauber war. Übermäßig überrascht war ich nicht, als sich herausstellte, Mrs. Power war eine Französin, die besorgt um ihren »eher Daniel« herumhuschte wie eine Mutter, die ihren Sohn abgöttisch liebt. Die eher privaten Fragen, die sie mir stellte, während sie mich in eine entzückende kleine Suite unter dem Dach führte, wehrte ich ab. Als ich wieder nach unten kam, wußte ich einiges mehr über Daniels Lebensweise.
    »Der Papa« war ein wenig exzentrisch. Das war nicht ihre Meinung, sondern das, was die anderen Leute sagten. Wirklich seltsam, er wohnte ganz in der Nähe, und doch bekam sie ihn nie zu Gesicht, außer wenn Daniel hier war. Und auch dann nicht oft. Daniel hatte seit jeher bei ihr gewohnt – in den Schulferien, an den Wochenenden, an Feiertagen. Sie und »seine Maman« stammten aus dem gleichen Dorf in der Provence. Sehr besitzergreifend war sie und, ehrlich gesagt, auch ziemlich neugierig. Ich wußte plötzlich wieder, warum ich normalerweise Pensionen mied.
    Als ich ihr schließlich entwischte, fuhr Daniel mich quer durch die Stadt zu einem kleinen italienischen Restaurant. Auch hier schien er wohlbekannt zu sein.
    Welchen Tisch »il dottore« wünsche? Was würde der Dottore heute Abend gerne speisen?
    »Spezialitäten heute Abend: wir haben phantastischen Seebarsch, phantastischen Spargel, wundervolle Saltimbocca …« Der Kellner wuselte um ihn herum, rezitierte die gesamte Speisekarte, aber in Wirklichkeit wählte er das Essen und den Wein für uns aus. Und genau das brauchten wir.
    Wir aßen also Seebarsch und Spargel; es wäre unhöflich gewesen, dies nicht zu tun. Phantastisch war vielleicht ein bißchen übertrieben, aber das Essen war gut und der Service erstaunlich. Uns beiden tat es gut, ein wenig aufgeheitert zu werden, und der Kellner spielte seine Rolle perfekt. Wir tranken frischen, fruchtigen Corvo und langten kräftig zu. Während des Essens sagte keiner von uns beiden viel. Die intime Atmosphäre des kleinen Restaurants hatte uns, glaube ich, schüchtern gemacht, aber als wir fertig waren, entspannten wir uns allmählich.
    »Diese Bücher, die Sie meinem Vater gezeigt haben, worum handelt es sich dabei?« fragte er, während er mein Glas nachfüllte.
    Ich fischte sie aus meiner Handtasche und schob sie über den Tisch. Etliche Male drehte und wendete er sie in den Händen, ehe er sie durchblätterte. Er sah zu mir auf.
    »Die Handschrift meines Vaters, glaube ich. Ja?« Plötzlich so französisch.
    »Ja, und die meiner Mutter. Sie scheinen beide seit den vierziger Jahren Tagebuch geführt zu haben. Ihr Vater hat sie zusammengebunden. Ich weiß nicht wann, aber wahrscheinlich im Verlauf der letzten Jahre.«
    »Mein Vater?« Es klang überrascht. »Die hat mein Vater gemacht? Welch wundervolle Kunstfertigkeit. Ich hatte keine Ahnung. Wirklich seltsam.«
    »Aber Sie haben mir doch gesagt, er sei Buchbinder …«
    »Ja, natürlich, aber er arbeitet nur mit sehr alten Ausgaben. Eher ein Restaurator. Ich hatte keine Ahnung, daß er solche Dinge selber machen kann. Wieso haben Sie sie? Warum haben Sie sie zu ihm gebracht?«
    Ich antwortete ihm mit einer Gegenfrage, da ich eines nicht verstand.
    »Haben Sie gewußt, daß meine Mutter Ihren Vater geliebt hat, seit sie vierzehn oder fünfzehn war? Sie haben im gleichen Viertel gewohnt.«
    Daniel lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte mich an; auf seinem Gesicht spiegelte sich eine überwältigende Verblüffung wider.
    »In Oxford?«
    »Nein, in

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