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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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dauerte nicht lange, bis der nächste schreckliche Gedanke auftauchte: wenn er die Killer zu Lily geführt hatte, dann könnte er sie auch auf meine Spur bringen – und auf die Daniels.
    Hastig stand ich auf und zog mich an; ich war zu aufgedreht, um im Bett zu bleiben. Es war fünfundzwanzig Minuten vor sieben. Leise schlich ich mich die Treppe hinunter und aus dem Haus. An der Tür zögerte ich und schaute vorsichtig die ruhige kleine Straße hinauf und hinunter, von deren Ende her der Morgenverkehr zu hören war. Auf den Gehsteigen waren jedoch keine Fußgänger und keine Herumschnüffler zu erblicken.
    Als ich noch zögerte, tauchte eine frühe Joggerin aus einem der Häuser auf und trottete an mir vorbei. Ich hatte nicht die richtigen Schuhe an, aber was, zum Teufel, machte das schon aus, ich folgte ihr in flottem Trab. An der Hauptstraße bog sie nach links, lief an einem Krankenhaus vorbei – dessen verschachtelte Gebäude in überwältigendem Gegensatz zu dem modernen Radcliffe-Krankenhaus standen – und dann wieder nach links; dabei wurde sie allmählich schneller. Wie das Schild an der Ecke mir verriet, war ich jetzt in der Old Road. Ganz mithalten konnte ich nicht, aber ich behielt sie im Auge. Schließlich überquerten wir eine Fußgängerbrücke, die sich über eine Autobahn spannte, und erklommen den steilen – laut einem Schild – Shotover Hill.
    Oben zog sich ein grasbewachsener breiter Weg in die Ferne vor mir, und eine netterweise dort angebrachte gerahmte Karte zeigte mir zu meiner Rechten eine weitläufige Wildnis. Unter uns erstreckte sich ein Fabrikgelände. Der im strahlenden Sonnenschein aus den Schloten des weit entfernten Kraftwerks aufsteigende Rauch verlieh dem Ganzen eher den Anschein einer Industrielandschaft von Lowry. Lediglich die winzigen Gestalten fehlten, aber die waren hinter mir und führten auf einem frühmorgendlichen Spaziergang ihre Hunde aus.
    Ich folgte den Pfeilen nach Horspath und brachte den Weg zur Hälfte hinter mich, ehe ich mich auf einem riesigen Findling ausruhte, erleichtert, keinerlei Gefühl von Gefahr zu verspüren. Zu viele große Hunde, zu viele verschlafene Hundebesitzer. Alles war zu friedlich, zu normal. Zumindest dachte ich das, als ich so in der Sonne saß und einer Frau zusah, die zwei Windhunde um die Wette laufen ließ. Auf ihre rechte Schläfe war unbeholfen ein winziger Schmetterling tätowiert, eine wundervolle, ausgefallene kleine Verrücktheit. Plötzlich wollte ich alles beiseite wischen, was sich seit Lilys Tod ereignet hatte. Ich wünschte, alles wäre wieder normal, so wie vorher – oh, wie sehr ich mir das wünschte. Ich wollte mein Leben wieder selber in die Hand nehmen und nicht herumstrampeln wie ein Seehundbaby.
    »Ich setze auf den grauen«, bemerkte ich, als die Frau einen der Windhunde an die Leine nahm, um ihn vor der zudringlichen Neugier zweier Labradors zu beschützen.
    »Er hat letzten Freitag gewonnen. Sieben zu vier.« Sie strahlte mich an. »Und das war sein erstes Rennen.« Als sie weiterging, trottete gerade meine Joggerin vorbei. Da es jetzt abwärts ging, konnte ich leichter mithalten.
    Marie-Claire fegte die Veranda, als ich zum Haus zurückkam. Wir begrüßten uns, und als sie mir anbot, meine vom Tau feuchten Schuhe am Ofen zu trocknen, zog ich sie aus und gab sie ihr. Mir hätte es auch nicht behagt, wenn jemand mit nassen Schuhen auf meinem hellblauen Teppich herumgetrampelt wäre.
    »Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
    »Das wäre wunderbar, aber ich glaube, das lohnt sich kaum. Ich komme ohnehin gleich zum Frühstücken herunter, wenn Ihnen das recht ist.« Ich ging die Treppe hinauf. Die Morgenluft war für meinen leichten Pullover und die dünne Hose zu kühl gewesen, und mich fröstelte. Rasch zog ich mich aus und stellte mich unter die dampfend heiße Dusche, bis mein Kreislauf wieder in Schwung kam. Als ich aus dem Bad kam, war meine Haut rosig gefleckt; ich wickelte mich in eines von Marie-Claires flauschigen weißen Badetüchern, schlang mir ein Handtuch um den Kopf und stellte mich, um mich ein wenig abzukühlen, ans Schlafzimmerfenster.
    Von dort aus hatte ich einen herrlichen Blick auf die ganze Straße und noch weiter. Es schien hier jede Menge Krankenhäuser zu geben. Das Orthopädische Zentrum Nuffield lag so nahe, daß ich das Schild lesen konnte, das ich auf meinem Spazierlauf übersehen hatte. Zerstreut fragte ich mich, ob seine Nähe Daniels Entscheidung für seinen Beruf ebenfalls beeinflußt

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