Fallende Schatten
durch; den letzten hatte sie weniger als einen Monat vor ihrem Tod unternommen – März, Oktober i994›August, Mai und so weiter, bis ich bei 1989 anlangte. Wenn ich richtig gerechnet hatte, und normalerweise tue ich das, hatten Lily und Milo einander schätzungsweise im April oder Juni 1989 wiedergefunden. 1989? Irgendwas stimmte da nicht. Lily hatte die Busse erst entdeckt, nachdem ich 1991 bei Morgen angefangen hatte. Ich rechnete mir aus, daß sie mich in den vier Jahren ab Herbst 1991 bis zu ihrem Tod ungefähr fünfzehnmal besucht hatte. Je nachdem, wann sie ihm wiederbegegnet war, hatte sie Oxford möglicherweise sieben weitere Besuche abgestattet. Ohne mir etwas davon zu sagen.
Fast mit Sicherheit hatten sie bei einem dieser Besuche verglichen, was sie jeweils gesehen hatten. Schließlich und endlich war dies der Grund gewesen, warum sie so lange Zeit voneinander getrennt gewesen waren. Also. Sie hatten ihre Notizen zu dem Mord miteinander verglichen … und es war nichts dabei herausgekommen. Und dann hatten sie ihr begeistertes Hin und Her drei Jahre lang fortgesetzt. Heimlich, sicher. Unvermittelt hielt ich inne und ging dann die verschiedenen Möglichkeiten im Kopf durch. Warum hatten sie ihren einzigen Kindern nicht genügend vertraut, um sie an ihrem Glück teilhaben zu lassen? Warum hatten sie es geheim gehalten?
Irgend etwas stimmte da nicht. Ich kannte Lily – oder bildete mir das jedenfalls immer noch ein. Lily hätte sich bestimmt um den Mann kümmern wollen, den sie liebte. Sie hätte sich gewünscht, an seiner Seite zu leben. Zu Hause. Was oder wen also hatte Milo noch gefürchtet, das ihn davon abgehalten hatte, mit der Frau, die er liebte, an seinen Geburtsort zurückzukehren? Es sei denn, er hätte seine gemütliche Zuflucht in Oxford nicht aufgeben wollen. Das schien einigermaßen vernünftig.
Doch wenn das der Fall war, warum hatte dann nicht sie ihre Siebensachen gepackt und war zu ihm gezogen? Das wäre ohne weiteres möglich gewesen, abgesehen davon, daß sie dann ihren Beruf, ihr Einkommen hätte aufgeben müssen. Ich wohnte bereits in der Nähe, in London. Und sie hatte selber zugegeben, immer sehr gerne herübergekommen zu sein – schon vor der Liebesaffäre. Ich hätte mich gefreut, wenn sie nicht mehr so weit weg gewohnt hätte. Warum also hatte sie das nicht getan? Hatte Lily Angst davor gehabt, ihre Unabhängigkeit aufzugeben? Irgendwie schien das kein ausreichender Grund zu sein.
Das führte nirgendwohin. Ich ging also zurück, ließ all die Wenns und Warums beiseite und reduzierte meine Überlegungen auf das einfachste Element: Mord.
1. Nach fünfzig Jahren finden Lily und Milo einander wieder. Auf welche Weise?
2. Angenommen, sie lieben einander immer noch. Wollen Zusammensein.
3. Milo hat jedoch entsetzliche Angst vor irgend etwas oder irgend jemandem. Lily möglicherweise auch?
4. Als sie sich wiederbegegnen, glaubt jeder genau zu wissen, wer Buller getötet hat.
5. Er glaubt, es war der Radfahrer, Lily weiß, daß der es nicht war.
Fangen wir hier an: sie berichtet ihm von dem Schützen. Er hat jedoch immer noch Angst. Warum? Warum? Warum? Weil er etwas weiß, das sie nicht weiß oder nicht gewußt hat. Daß der Radfahrer und der Schütze unter einer Decke gesteckt haben. Das sticht doch regelrecht ins Auge. Der Radfahrer lenkt Bullers Aufmerksamkeit auf sich, der Kerl im Garten verpaßt ihm eine Kugel und verschwindet dann durch das Haus hinter ihm.
6. Was sie ihm erzählt, jagt ihm noch mehr Angst ein, als er bisher schon hatte. Aber er ist zu verschreckt, um ihr zu sagen, warum.
Machen wir hier weiter: Angenommen, Lily kommt von selber dahinter? Versucht, sich irgendeine Möglichkeit auszudenken, ihn zu beschützen. Sie war nicht raffiniert. Aber sie behielt ihre Gedanken für sich. Oder vertraute sie dem Tagebuch an. Sie schrieb alles in ihr Tagebuch. Sie treffen sich weiterhin. Nichts geschieht … bis wann?
7- Was war, kurz bevor sie getötet wurde, geschehen, das sie erneut in Gefahr gebracht hatte?
Hatte sie entdeckt, daß die Mörder noch am Leben waren? Oder hatten sie Lily aufgespürt? Und über sie Milo?
O was war ich doch für ein Dummkopf! Wer, Herrgott, wer war gekommen und hatte die fast erloschene Glut wieder angefacht? Wer hatte Lily Sweetman gefunden?
»Vor ein paar Wochen habe ich sie besucht. Sie hat meinen Vater gekannt. Vor langer Zeit, in Ringsend.« Der grimmige Rächer höchstpersönlich, der verfluchte Arthur Reynolds.
Es
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