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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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glücklich.
    »Ich auch. Aber zuerst brauche ich eine eiskalte Dusche. Nell? Oh, Nell.« Er sagte nicht, was in ihm vorging. Vielleicht hatte er es vergessen. Er sah genauso benommen aus, wie ich mir vorkam.
    In der Tür blieb er stehen, fummelte nervös am Türgriff herum, ehe er noch einmal ansetzte: »Kommst du nach dem Frühstück mit mir zu Milos Haus?« fragte er leise. Ich nickte. »Die Tagebücher lese ich später. Ich glaube, jetzt ertrage ich das nicht. Es fällt mir schwer, das zu erklären …«
    »Du brauchst nichts zu erklären, Daniel, wirklich nicht. Nicht jetzt. Und du brauchst mich auch nicht zu dem Haus mitzunehmen, ehe du soweit bist. Das weißt du doch, oder?«
    »Oh, ich will es aber. Ich möchte, daß du ihn so siehst, wie ich ihn sehe, und …« Er zuckte die Schultern, zögerte einen Augenblick, dann stürzte er ins Zimmer zurück und nahm mich in die Arme.
    Wir umklammerten einander, nicht aus Leidenschaft, sondern um uns gegenseitig zu trösten, wie Waisen in einem Unwetter. Was übrigens ziemlich genau das traf, was wir waren. Unsere Gefühle überwältigten uns, gerieten außer Kontrolle. Ich wußte nicht, sollte ich jauchzen vor Freude oder in Tränen ausbrechen. Zu wenig Schlaf, zu viel Qual, zu viele Sorgen, zu viel Angst. Zu viel Adrenalin.
    Als er ging, nahm ich noch einmal eine Dusche. Diesmal eine kalte. Denn sonst hätte es passieren können, daß ich am Frühstückstisch unangenehm aufgefallen wäre.

28
    Als wir die Pension verließen, um zum Haus seines Vaters zu gehen, deutete Daniel zu der orthopädischen Klinik auf der anderen Straßenseite. »Man hat mir hier eine Stelle angeboten.«
    »Wirst du sie annehmen?«
    »Ich ziehe es in Betracht.«
    »Würdest du gerne in England arbeiten?«
    »Ich habe früher schon hier gearbeitet, einen Teil meiner Ausbildung absolviert. Zwei Jahre im Nuffield, eines im Radcliffe auf der Unfallstation. Gute Kliniken.«
    »Du wirst das Angebot also annehmen?« Ich bemühte mich, dies leichthin zu sagen, war mir aber nicht sicher, ob es mir gelang.
    »Kommt drauf an.« Er grinste zu mir herunter. Seine Haare mußten wirklich geschnitten werden. »Es gibt da einige Unbekannte in der Gleichung. Seit kurzem.«
    »Zum Beispiel?« O mein Gott, warum konnte ich es einfach nicht lassen?
    »Dich zum Beispiel«, witzelte er. »Ist Oxford zu weit von Heathrow entfernt, was meinst du?«
    Diese Bemerkung hatte ich herausgefordert, doch ich antwortete nicht. Nicht aus Koketterie, sondern weil meine Stimmung ebenso unvorhersehbar war wie meine Gefühle. In der einen Minute konnte ich Lily und meine eigene Furcht verdrängen, in der nächsten stürmte die Katastrophe mit voller Wucht auf mich ein. Daniel ging es genauso. Er war rührend besorgt um mich, obwohl er eigentlich nichts anderes wollte, als bei seinem Vater sein. Es war uns offenbar beiden nicht möglich, uns normal zu verhalten. Ich hatte fast vergessen, was »normal« ist.
    »Ich möchte dir das erklären«, setzte Daniel an. »Ich hatte vor, die Tagebücher zu lesen, bin aber über die ersten paar Zeilen einfach nicht hinausgekommen. Es war mir unmöglich, mich damit auseinanderzusetzen, jetzt, da das, was ich für ihn empfinde, was ich über ihn weiß, völlig durcheinandergeraten ist. Zu viele Erschütterungen. Verstehst du das? Es ist der falsche Zeitpunkt für mich. Später schaffe ich es vielleicht. Aber jetzt erscheint es mir nicht richtig, nicht ausgerechnet jetzt. Es tut mir leid.« Er seufzte. »Dir ist es mit deiner Mutter wahrscheinlich ähnlich ergangen?«
    »Immer noch.«
    »Ich möchte dir helfen, soviel ich kann. Weißt du das?«
    »Ja. Aber später. Später haben wir Zeit genug dazu, Daniel. Jetzt geht es nur um deinen Vater.«
    Er nahm meine Hand und führte sie an seinen Mund.
    »Ich möchte dir Quarry zeigen«, sagte er, und auch seine Stimme bebte. »Diesen Teil von Oxford mag ich besonders.«
    Also nahm er mich auf einen Rundgang mit, angeblich, um mir die Stadt zu zeigen. In Wirklichkeit schob er, glaube ich, den Zeitpunkt hinaus, zu dem er Milos Haus betreten müßte. Während wir dahinschlenderten, erklärte er mir alles.
    »Quarry liegt an der Umgehungsstraße nach Headington. Dort wurden die Steine für die ältesten Colleges von Oxford abgebaut, bis der Steinbruch Mitte des 18. Jahrhunderts stillgelegt wurde.« Er deutete auf die Stellen, an denen man daran, auf welcher Höhe die Häuser standen, noch erkennen konnte, wo die verschiedenen Abbruchschichten verlaufen waren.

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