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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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hatte. Als meine Augen so hin und her schweiften, wurde mir unbehaglich klar, ich hielt nach unerwünschten Herumschnüfflern Ausschau. Und ich war sehr erleichtert, keine zu erblicken.
    Leise klopfte es an die Tür. Ich drehte mich hastig um, als Daniel mit einer Tasse Kaffee hereinkam, der köstlich duftete. Als er mich sah, trat er einen Schritt zurück, und die Hälfte des Kaffees schwappte auf die Untertasse.
    »Oh, tut mir leid. Marie-Claire hat gesagt, Sie seien schon auf und angezogen. Entschuldigung.«
    »Ist schon in Ordnung. Ich bin ganz durchfroren von meinem Spaziergang zurückgekommen und habe mich unter der Dusche aufgewärmt. Ist der Kaffee für mich?«
    Reuig blickte er auf den Kaffee und dann wieder zu mir. »Was davon übrig ist.« Es belustigte mich einigermaßen, wie verlegen seine und meine peinliche Situation ihn machte, und ich fragte mich, warum es ihm nicht in den Sinn kam, einfach wieder zu verschwinden. Ich betrachtete seinen schmuddeligen, viel zu kleinen Trainingsanzug, der gut zehn Zentimeter eines behaarten Unterschenkels sehen ließ. Die eingelaufenen Ärmel reichten ihm nur bis zum Ellbogen.
    »Sie waren auch schon draußen?« fragte ich. Herrje, der ist vielleicht groß. Und verschwitzt.
    »Ich bin ein Stück gelaufen. Zum Radcliffe rüber und wieder zurück. Mein Vater hat eine ruhige Nacht verbracht, und wir haben uns ein wenig unterhalten.« Er lächelte zaghaft. »Ich habe gesagt, wir kämen später beide vorbei. So mittags, wenn Ihnen das paßt.«
    »Ja, natürlich, wenn Sie glauben, daß ihn das nicht zu sehr anstrengt.« Ich wollte ihn fragen, ob er die Tagebücher gelesen hatte, brachte es jedoch irgendwie nicht fertig.
    »Er hat nach Ihnen gefragt. Nell?« Plötzlich sah er sehr ernst aus. »Ich konnte die Tagebücher nicht lesen. Ich wollte, aber, na ja, Sie verstehen … mein Gott, gut sehen Sie aus.«
    Ich bin sicher, er hatte nicht beabsichtigt, das zu sagen, ja, kaum bemerkt, wie er sagte, was er da gerade gesagt hatte. Er wirkte ebenso überrascht, wie ich mich fühlte.
    Wir starrten einander an, dann trat er Richtung Tür zurück und musterte mich von oben bis unten. Als sähe er mich zum ersten Mal – und als gefiele ihm, was er da sah. Ich rührte mich nicht. Konnte es nicht. Man sucht es sich nicht aus, wann oder wie man sich verliebt, oder? Der Zeitpunkt war schlichtweg grauenhaft. Er machte sich schreckliche Sorgen um seinen Vater, der im Sterben lag; und ich hatte entsetzliche Angst, verfolgt, angegriffen und niedergeschlagen zu werden. Und dennoch konnten wir unsere Augen nicht voneinander losreißen. Er war zu groß, zu schlank, seine Nase war zu lang, und sein dichtes schwarzes Haar stand zu Berge. Ich hätte ihn auffressen können. Am liebsten hätte ich mein Badetuch fallen gelassen und mich ihm in die Arme geworfen.
    Er brach den Bann. »Ich bin fast siebenunddreißig und einigermaßen wohlhabend. Fast sechs Jahre habe ich mit einer Frau zusammengelebt.« Er sprach hastig, die Worte sprudelten zu schnell aus ihm heraus. »Vor acht Monaten haben wir uns getrennt. Sie wollte etwas Dauerhafteres und hat gesagt, ich sei unfähig, mich an jemanden zu binden, mein Leben mit jemandem zu teilen. Das bin ich nicht. Nur habe ich das bis jetzt nicht gewollt.«
    Bis jetzt? Er hielt inne. Ich wartete. Konnte sein Atmen hören, so wie er meines. Mir war, als würde ich stranguliert.
    »Nell, sind Sie gebunden?«
    »Nein«, flüsterte ich. Mein Herz schlug einen kleinen Purzelbaum.
    Er stellte die Kaffeetasse auf den Nachttisch und ging auf mich zu. Ganz dicht standen wir beieinander, berührten uns jedoch nicht. Durch das flauschige Badetuch hindurch spürte ich die Wärme seines Körpers. Er bückte sich und berührte meine Lippen mit seinen.
    »Nicht hier, nicht jetzt. Dazu ist es zu wichtig. Wir können warten. Wirst du mit mir warten, Nell?«
    Das »mit« war es, das mich eroberte. Ich umfaßte sein Gesicht mit beiden Händen, und dann preßte er mit einer Kraft, die mich fast umgeworfen hätte, seine Lippen auf meine. Er küßte hinreißend. Krampfhaft hielt ich mich an dem Badetuch fest, aber ich verlor den Kopf.
    Und mein Herz. »Ja, ich werde warten, Daniel.« Ich machte mich los und lächelte zu ihm auf. Verdammt, der war wirklich groß. »Zumindest bis nach dem Frühstück«, fügte ich schnoddrig hinzu. Die Atmosphäre war zu aufgeladen, wir mußten beide abkühlen. »Und jetzt, glaube ich, ziehe ich mich besser an.«
    Wir lachten. Herrgott, war ich

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