Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
Vom Netzwerk:
unserer Eltern, aber auch, so vermute ich, wegen uns selber. Zwischen uns lauerte eine Art Irrsinn, der Wunsch, uns fallen, fallen, fallen zu lassen in eine Leidenschaft, die die Notwendigkeit, uns mit der Leidenschaft unserer Eltern auseinanderzusetzen, tilgen würde. Und die Tatsache, wie wenig wir darüber wußten. Für mich selber wußte ich mit Sicherheit, ohne jedoch dieses Wissen teilen zu können, daß diese Ungewißheit mich immer weiter in die Gefahr hineintrieb. Seit wir das Haus betreten hatten, verspürte ich Angst. Am greifbarsten war die Bedrohung im Arbeitszimmer. Oder war es nur Eifersucht?
    Daniel hatte gerade vorgeschlagen, eine Tasse Kaffee zu trinken, als im vorderen Zimmer das Telefon läutete. Während er den Anruf entgegennahm, schlenderte ich in den Wintergarten.
    »Das war das Krankenhaus«, erklärte er ruhig, als er zu mir kam. »Ich muß sofort hin, fürchte ich.« Er setzte sich an den kleinen Tisch und nahm meine Hand. Offenbar machte er sich große Sorgen. »Würdest du in ungefähr einer Stunde nachkommen, Nell? Bitte, ich glaube, ich brauche dich dann.«
    »Ich werde da sein.« Ich sah auf die Uhr. »Um zwölf?« Als er mir die Schlüssel gab, drückte er meine Hand.
    »Daniel, ich bin mir nicht sicher, ob ich zurückfinde«, sagte ich unsicher.
    Er zog mich ans Fenster und deutete auf das hintere Tor. »Geh über den Friedhof. Ich mache das auch. Auf der anderen Seite ist eine breite Straße. Das ist direkter als der Weg, auf dem wir gekommen sind. Und schneller.« Er zeichnete zwei kleine Pläne und schrieb die Nummer für die Alarmanlage daneben. »Bis zu Marie-Claire in der Gathorne Road brauchst du zu Fuß ungefähr sieben Minuten.« Er deutete auf die zweite Karte. »Zum Radcliffe sind es von dort aus mit dem Auto fünf Minuten. Tut mir leid, daß ich dir nicht helfen kann. Ich hoffe, du findest, was du suchst.« Er klang überanstrengt und beunruhigt, und mir fiel auf, er schien nicht mehr in der Lage zu sein, den Namen seines Vaters auszusprechen oder ihn »Papa« zu nennen. Nur mit Mühe beherrschte er sich. Aber er behielt seine guten Manieren bei.
    »Den Großteil seiner Zeit verbringt er hier oder im Arbeitszimmer. Oben sind nur das Schlafzimmer und ein Bad.« Er lächelte freudlos, dann ging er.
    Ich sperrte hinter ihm die Tür ab. Solange Daniel in meiner Nähe gewesen war, hatte ich nicht an Herumschnüffler gedacht; jetzt, da er weg war, konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich holte mein Scheckbuch hervor und sah mir die Liste an, die ich mir am Tag zuvor notiert hatte. Einzig auf zwei Worte konzentrierte ich mich: »Ko« und »aus« – oder Haus, wie ich mittlerweile glaubte.
    Ko hätte alles mögliche bedeuten können – Konsole, Kommode, Kohleneimer und so weiter. Ich beschloß, nicht aufs Geratewohl herumzuhasten, sondern so überlegt zu suchen wie nur möglich, in einem Zimmer nach dem anderen.
    Als erstes ging ich ins Arbeitszimmer und ließ meinen Blick über die Bücher in den Regalen gleiten. Vermutlich dachte ich, ein Buch ließe sich am leichtesten unter vielen anderen verstecken. Aber ich hatte nicht mit Milos Ordnungsliebe gerechnet. Seine Bücher waren nach Autoren angeordnet, und offensichtlich hatte es ihm großes Vergnügen bereitet, Gesamtausgaben zu sammeln. Einige waren richtig gebunden, andere nur Taschenbuchausgaben, und wenn einmal ein Einzelband darunter war, fiel er sofort ins Auge. Nur auf solche achtete ich, aber ich entdeckte nichts, was auch nur im entferntesten den Tagebüchern ähnelte. Völlig willkürlich nahm ich einzelne Bücher aus dem Regal und untersuchte den Platz dahinter. Falls tatsächlich etwas hinter den Büchern verborgen war, konnte ich es nicht finden.
    Der Teppichboden hatte die Farbe und Textur von Haferschrot, die Vorhänge waren aus schwerem weißem Leinen. An einer Wand stand ein schmaler Refektoriumstisch mit zwei kleinen abstrakten Skulpturen und vier alten Silbergegenständen: einer Schale (gefüllt mit Büroklammern), zwei kleinen Krügen (in dem einen befanden sich Briefmarken) sowie einem kunstvoll gearbeiteten vierarmigen Leuchter mit Kerzenstummeln. An den Wänden hingen drei düstere, dunkel gerahmte Stilleben. Ich spähte hinter sie – Fehlanzeige. Und das war so ungefähr alles, abgesehen von zwei bequemen Armstühlen, zwischen denen ein runder, blankpolierter Tisch mittlerer Größe stand. Darauf eine Leselampe, eine wunderschöne jadefarbene Porzellanschale und zwei Bücher. In der Hoffnung,

Weitere Kostenlose Bücher