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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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zurückgekehrt war, schaute empört drein. Lily sagte gar nichts. Zwischen denen, die sich gemeldet hatten, kam es zu einem heftigen Wortwechsel. Sergeant O’Keefe beruhigte sie.
    »Hat einer von Ihnen einen jungen Burschen gesehen? Das war auf der Straßenseite mit den Bahngleisen, stimmt’s, Mrs. Brennan?«
    In Lilys Ohren klang ihr leises Aufschluchzen schrecklich laut.
    Dolly Brennan stieß einen Schrei aus: »Kommen Sie mal her zu mir, Sergeant. Fragen Sie das Gör da drüben! Ich seh immer, wie die sich mit allem möglichen Gesindel rumtreibt. Gerät ganz der Mutter nach, und was die ist, wissen wir alle. Lily Sweetman! Wer ist der junge Kerl, mit dem du immer quatscht? Jetzt, wo ich daran denke …«
    Lily wich zurück.
    »Seien Sie still, gute Frau«, sagte der Sergeant. »Schüchtern Sie das Kind da nicht ein.«
    »Von wegen Kind«, schnaubte Dolly. Sie ließ Lily nicht aus den Augen, die ihr Gesicht in Jimmys Decke vergrub, um zu verhindern, daß sie laut losheulte. Verlegenes Schweigen breitete sich unter den Umstehenden aus, die mit ihren scharrenden Füßen imaginäre Muster auf dem Boden nachzeichneten.
    Keiner trat vor. O’Keefe musterte sie alle argwöhnisch. Der junge Polizist schrieb langsam, mühselig etwas in sein Notizbuch. Ein- oder zweimal bat er seinen verärgerten Vorgesetzten, zu wiederholen, was er gesagt hatte. Hin und wieder machte der Ältere den Eindruck, als wolle er ihm eine Ohrfeige versetzen.
    Ein großer schwarzer Lieferwagen traf ein. Zwei Männer stiegen aus. Einer hatte eine Kamera bei sich, der andere, ältere, eine Ledertasche. Sie traten auf den Sergeant zu und unterhielten sich mit ihm. Der junge Polizist forderte die Leute auf, beiseite zu treten, als der Arzt seine Tasche öffnete und sich ungefähr zehn Minuten lang neben den Toten kauerte. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, sprach er ernst mit Sergeant O’Keefe, während der Photograph eine Menge Bilder machte. Als sie fertig waren, wurde der Leichnam weggeschafft. Die meisten Gaffer waren allmählich wieder in ihre Häuser zurückgegangen; jetzt folgten ihnen die letzten Nachzügler. Ein Paar wäre auf dem Weg in seine Wohnung beinahe über Lily gestolpert. Der Mann wollte wissen, was sie da zu suchen habe, und erklärte barsch, sie solle sehen, daß sie nach Hause komme, und sich um ihren eigenen Kram kümmern.
    Und jetzt schien Sergeant O’Keefe sie zum ersten Mal zu bemerken. Er schaute zu der Stelle hinüber, wo sie saß, und gestattete sich dann, seine Augen bedächtig von der Kreidezeichnung zu Lily und noch langsamer wieder zurück schweifen zu lassen. Dann hob er die rechte Hand und winkte sie zu sich.

Irish Independent
    Samstag, 31. Mai 1941
Letzte Meldungen vor Redaktionsschluß
     
    ZERSTÖRUNG AUF DER NORDSEITE DER STADT
Ab etwa Mitternacht überflogen Kampfflugzeuge die Stadt; die Bodenabwehr setzte massiv Flugabwehrgeschütze ein und bestrich den Himmel mit Suchscheinwerfern.
     
    ZIELE DES B OMBARDEMENTS
    Zwischen 1.55 und 2.10 Uhr fielen drei Bomben. Die erste schlug in der Summerhill Parade ein, eine zweite auf der North Circular Road in der Nähe des Phoenix-Parks, und die dritte traf den North Strand.
     
    TREFFER IM Zoo
    Druckwelle der Bombe bringt Elefanten zu Fall. Büffelherde in panischer Flucht.

6
    Der Lastwagen quoll fast über von Männern und Frauen jeglichen Alters, in ein wirres Kunterbunt aus Kleidern gehüllt, die sie sich hastig übergeworfen hatten. Etliche Männer hatten Spitzhacken und Seile mitgebracht. Ein paar Frauen zerrissen Laken zu Verbandsstreifen. Eng aneinander gedrängt kauerten sie da; hin und wieder ließ eine glimmende Zigarette ein Gesicht in der Dunkelheit aufblitzen. Über allem hing ein beißender Geruch nach Tabak. Die Leute unterhielten sich gedämpft, flüsterten nur. Keiner zeigte großes Interesse an den Neuankömmlingen.
    »Beeilt euch gefälligst, wenn ihr mitwollt«, brüllte der Fahrer Myles und Hanora zu. »Sucht euch da hinten einen Platz. Und haltet euch gut fest, wenn euch euer Leben lieb ist.«
    Bruder und Schwester kletterten rasch hinauf und ergatterten ein einigermaßen riskantes Plätzchen ganz hinten; sie lehnten sich an die hölzernen Seitenplanken und ließen die Füße über die Plattform des Lastwagens baumeln. Jemand reichte ihnen eine graue Armeedecke; sie hatten kaum Zeit, sie sich um die Schultern zu legen, ehe der Motor knatternd ansprang.
    Bis zur Bucht hinüber waren es keine drei Meilen, wegen des häufigen Anhaltens und

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