Fallende Schatten
den Zeitungen wußten, aufgetischt. Ekelhafte, abartige Kerle, die auf der Suche nach neuen Einkommensquellen die Unfallberichte lasen und sich so eine perverse, abscheuliche Befriedigung verschafften. Betrüger. Ich war wütend auf sie und auf mich selber, daß ich so leichtgläubig, so töricht gewesen war. Sie hatten Lily gar nicht gekannt. Diese beiden Prachtkerle hatten wahrscheinlich einfach die Lage gepeilt, und ich, blöd wie ich war, hatte ihnen genau das gesagt, was sie wissen wollten: daß das Haus leerstehen würde.
Ich packte meinen Koffer wieder aus und rief im Büro an, ehe ich mich mit der Polizei in Verbindung setzte. Die Gardaí nahmen meine Befürchtungen ernst, was mein angeschlagenes Selbstbewußtsein einigermaßen wiederherstellte. Ich hatte das Gefühl, die seltsame Apathie, die seit dem Tod Lilys auf mir gelastet hatte, begann sich zu verflüchtigen. Ich konnte nun zumindest einige vernünftige Entscheidungen treffen und ihren Nachlaß regeln, ehe ich mich wieder meinem eigenen Leben zuwandte. Konnte versuchen, mich mit ihrem Tod abzufinden.
13
»Willst du damit sagen, Davis ist nicht bei dir?« kreischte meine Freundin Maria durchs Telefon. »Das ist doch nicht zu fassen!« Ich hielt den Hörer vom Ohr weg und zählte bis fünf.
»Ich wollte nicht, daß er herkommt. Seit undenklichen Zeiten ist das sein erster Urlaub; er war völlig fertig. Du weißt es ja. Außerdem ist er sowieso nicht besonders gut mit meiner Mutter ausgekommen …«
»Darum geht es nicht, finde ich, Nell, ich kann es einfach nicht glauben, daß er nicht bei dir ist. Er sollte bei dir sein. Hätte ich das geahnt, ich hätte freigenommen. Warum hast du nichts gesagt?« Maria klang gekränkt. Oder verärgert, ich konnte nicht genau sagen, was, aber allmählich zerrte ihr Geschimpfe an meinen Nerven. Das ging jetzt schon seit mindestens zehn Minuten so.
»Bitte«, sagte ich, »bitte, laß uns nicht streiten. Ich habe nur angerufen, um dir Bescheid zu sagen, daß ich noch eine Weile länger hierbleibe. Mein Urlaub hätte ohnehin bis Montag gedauert, und Dieter meint, ich könne mir solange freinehmen, wie ich will. Jen wird dafür sorgen, daß Roger sich nicht allzu sehr an mein Büro gewöhnt.«
Dieter Ross war der für England zuständige Direktor von Morgen Morgen und mein unmittelbarer Vorgesetzter. Morgen Morgen garantiert weltweit die Zustellung am nächsten Tag, daher der Name. Ich war die Geschäftsführerin. Dieter und ich kamen ausgesprochen gut miteinander aus, was man von mir und Roger Mason nicht gerade behaupten konnte; er liebäugelte seit ungefähr einem Jahr mit meiner Stelle. Aber solange Dieter für den Laden zuständig war, würde sich nichts ändern. Abgesehen von allem anderen, wußte er sehr wohl, daß eine andere Firma mich seit einigen Monaten abzuwerben versuchte. Er wollte mich nicht verlieren, daher sträubte er sich auch nicht, als ich um Urlaub aus dringenden familiären Gründen bat. Zudem war der August unser ruhigster Monat. Was Roger betraf, so konnte ich mich auf meine Assistentin Jen Harper verlassen, die unsere Interessen im Auge behalten und mich auf dem laufenden halten wollte. Wir hatten miteinander abgesprochen, falls ich ginge, würde sie ebenfalls gehen.
»Nell, hörst du mir überhaupt zu? Wie lange bleibst du dort?«
»Das weiß ich noch nicht sicher. Erst mal vierzehn Tage. Aber ich werde mich regelmäßig bei dir melden. Maria, würdest du mir einen Gefallen tun?«
»Ja, sicher. Der Bleistift liegt bereit. Fang an zu diktieren.«
»Milch, Butter, Schinken, Brot. Was es eben so braucht für ein Frühstück. Würdest du das für mich tun? Das Flugzeug kommt erst gegen Mitternacht an.«
»Augenblick mal. Hast du nicht eben gesagt, du wolltest in Dublin bleiben?«
»Nicht für mich. Für Davis. Der Flug aus Mallorca.« Sie quittierte das mit völligem Schweigen.
»Maria? Bist du noch dran?«
»Ja, Nell, natürlich. Willst du damit sagen, dieser Mistkerl hat weiter Urlaub gemacht, während du zur … Das verschlägt mir die Sprache. Ich hatte gedacht, er wäre zumindest gemeinsam mit dir nach London zurückgekommen.« Ihre Stimme verlor sich in ein hilfloses Stottern.
»Ich bin direkt nach Dublin geflogen. Es hätte nichts gebracht, wenn wir beide unseren Urlaub abgebrochen hätten.« Daß die ganze Geschichte Davis fürchterlich auf die Nerven gegangen war, erwähnte ich nicht. Ich wußte, er würde sich jetzt alles mögliche einfallen lassen, um das wiedergutzumachen.
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