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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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unter meiner gezogen. Außer den Leuten im Büro und meiner Mutter hatte ich nur ihr die Hotelnummer gegeben. Ich hatte gedacht, sie wolle nur ein bißchen plaudern, und daher gesagt: »Wart einen Augenblick«, hatte mir ein Handtuch geschnappt und mich auf die Bettkante gesetzt, ehe ich den Hörer wieder in die Hand genommen hatte.
    Als Davis aus der Dusche gekommen war, hatte ich völlig benommen dagesessen, unfähig, auch nur ein Wort zu sagen.
    Ich erinnere mich, wie er in der Tür gestanden und sich mit einem hellblauen Badetuch abgetrocknet hatte. Aus seinen Haaren war Wasser auf sein braun gebranntes Gesicht getröpfelt, aber irgendwie hatte ich mich nicht erinnern können, wer er war.
    »Die Dusche ist frei. Na los, beweg dich, ich brauche einen Drink. Komm schon, Nell, was ist denn los mit dir?«
    Ich war außerstande gewesen zu antworten. In meinem Kopf waren die Worte durcheinandergeraten, ich hatte keinen Ton herausgebracht.
    »Nell?«
    »Meine Mutter …«
    »Was ist denn mit deiner Mutter?« Er hatte das Badetuch aufs Bett geworfen und sich angezogen. Ich erinnere mich, wie ich mir wünschte, ich würde genauso schnell braun werden. Seine Unterhose war blau-weiß gestreift.
    »Ich muß nach Hause.«
    »Oh, verdammt noch mal, warum mußt du nach Hause? Ständig rennst du hinter ihr drein. Was ist es denn diesmal?«
    »Nichts mehr. Sie ist tot.«
    Er war auf mich zu gekommen und hatte sich neben mich aufs Bett gesetzt. Hatte versucht, betroffen dreinzuschauen, aber irgendwie war alles falsch rausgekommen.
    »Was ist passiert?«
    »Sie ist von einem Auto überfahren worden. Ich muß nach Hause.«
    »Arme Nell. Wann?«
    »Eben erst. Heute Abend.«
    Es war mir gelungen, einen Standby-Platz für einen Direktflug nach Dublin zu bekommen, aber als ich dort ankam, war ich völlig fertig. Ein großer, schweigsamer Polizist hatte dicht neben mir gestanden, als ich auf ihr liebes Gesicht hinuntergeblickt hatte, das von einer grauenhaft klaffenden Wunde von der Schläfe bis zum Kinn entstellt war. Eingefallen sah sie aus, verletzlich, wie ein toter Vogel.
    Weder damals noch später hatte ich um sie geweint, außer ganz kurz an ihrem Grab, aber jetzt, nachdem ich Hanion weggeschickt hatte, konnte ich nicht mehr damit aufhören. Als ich mit dem Packen fertig war, trat ich in die Tür zu jedem einzelnen Zimmer und stellte sie mir an irgendeinem Platz vor. Jetzt in einem Stuhl, dann, wie sie mit ihrem lächerlichen Federwisch umherhuschte. Arme alte Lily, selbst der verdammte Staubwedel hatte bunt und fröhlich sein müssen.
    Es war, als hätten die gespenstische Begegnung mit Arthur Reynolds und meine Wut auf Hanion die Erstarrung in Herz und Seele gelöst. Lily war überall, im ganzen Haus. Da sie so lange Zeit arm gewesen war, hatte sie ihre Besitztümer auf eine Art und Weise gehegt und gepflegt, die ich nun zum ersten Mal begriff. Es brach mir fast das Herz. Nichts von alledem, was sie besessen hatte, war wirklich wertvoll, aber mein Vater hatte seine schönsten Möbelstücke für sie gemacht, und im Lauf der Jahre hatte Lily sie mit einer Patina aus reiner Seide überzogen. Nicht aus Besitzgier hatte sie an den Dingen gehangen, sondern aus Liebe. Ich stellte fest, die Messinggriffe der Kommoden in ihrem Schlafzimmer waren stumpf und nicht poliert. Und ich hatte keine Zeit mehr, sie zu putzen.
    Ich wandte mich zum Gehen, als mir ein Gedanke durch den Kopf schoß und sich dort hartnäckig festsetzte: sowohl Reynolds wie auch Hanion hatten Ringsend erwähnt. Lily selber hatte jedoch selten über ihre Kindheit gesprochen, und wenn, dann nur, um beiläufig ihren toten Bruder zu erwähnen. Ich wußte nicht einmal, in welcher Straße sie gewohnt hatte. Soweit ich wußte, war Ringsend eine Gegend, an die sie sich nicht erinnern wollte. Ich hatte das immer als eine ihrer kleinen snobistischen Anwandlungen abgetan. So seltsam dies erscheinen mag, bis zu diesem Augenblick hatte Ringsend allem Anschein nach keinerlei besondere Bedeutung gehabt, außer daß man ziemlich lange brauchte, um von zu Hause aus dorthin zu radeln. Aber jetzt fiel es mir auf: Lily war in der Daedalian Road zwischen Sandymount und Ringsend vom Fahrrad gestoßen worden. Das war in sämtlichen Zeitungsberichten über den Unfall erwähnt worden.
    Und damit, zu dem Schluß kam ich nun, hatten meine beiden schrecklichen Zufallsbekanntschaften mich dazu bewegt, zu glauben, sie hätten Lily gekannt. Sie hatten mir einfach die paar Informationen, die sie aus

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