Fallende Schatten
Segel sich tummeln, ist Dun Laoghaire schlicht zaubrisch.
Das Haus war eigentlich ganz normal. 1906 hatte ein kleiner Bauernhof mit Milchwirtschaft oben auf dem Hügel der Swift Terrace weichen müssen. Am treffendsten hätte man die sechs Doppelhäuser wohl als Handwerkerunterkünfte beschrieben. Anfangs bestanden sie aus jeweils zwei Zimmern im Erdgeschoß und im ersten Stock, ehe später eine Küche und ein Badezimmer angebaut wurden. Über ganz Dublin ist eine Menge solcher Häuserreihen verstreut; viele von ihnen waren ursprünglich als Eisenbahn- oder Straßenbahnhäuschen gedacht, obwohl die normalerweise einstöckig sind. Sie sehen hübsch aus, sind solide gebaut, und wenn sie auch nur wenige Zimmer haben, so sind diese doch einigermaßen geräumig.
Unser Haus stand am Ende der Häuserzeile, daher war es auf drei Seiten von einem Garten umrahmt, den meine Mutter hingebungsvoll gepflegt hatte. Er war ungemein farbenfroh; meine Mutter hatte die Blumen bevorzugt, deren Anblick »echten« Gärtnern nur ein höhnisches Lächeln entlockt: Petunien, Geranien, Zinnien, Begonien, Phlox, Levkojen und Löwenmaul. Blau, rosa und rot waren ihre Lieblingsfarben, je knalliger, desto besser. Sie pflanzte sie aufs Geratewohl, aber das Ergebnis war eine wilde, lebensprühende Pracht. Die Häuser selbst waren aus wundervollen tiefroten Ziegeln gebaut, von denen sich die Tür- und Fensterstürze aus glitzerndem Dalkey-Granit abhoben. Über jeder Tür war der Name eingraviert. Unseres hieß Slievenamon, aber wir nannten es einfach die Nummer zwölf.
Ich hatte das Haus immer gemocht, aber jetzt fühlte ich mich dort nicht mehr wohl. Und ich wußte, falls ich je nach Irland zurückkehrte, dann dorthin, wo wir immer die Ferien verbracht hatten, ein Stück weiter die Küste hinunter, im County Wicklow in der Nähe der Brittas-Bucht. Ich beschloß, nur ein paar Sachen, an denen ich besonders hing, zu behalten; der Großteil der Möbel konnte zusammen mit dem Haus verkauft werden. Ehe ich es auszuräumen begann und solange es noch so reizvoll wirkte, ließ ich den Immobilienmakler kommen.
Patrick Ryan war ein alter Freund. Für kurze Zeit waren wir miteinander gegangen, als wir auf dem College gewesen waren, und seit er in der Gegend hier arbeitete, trafen wir uns oft auf einen Drink, wenn ich nach Hause kam. Ich berichtete ihm von meinen beiden aufdringlichen Typen und erklärte, ich wolle das Haus so unauffällig wie möglich verkaufen, ohne das groß bekannt zu machen. Er schlug vor, sofort mit den notwendigen Vorbereitungen für den Verkauf zu beginnen, so daß wir das Ganze durchziehen könnten, sobald das Testament bestätigt wäre. Mir schien das eine hervorragende Idee. Er nannte einen wesentlich höheren Preis, als ich erwartet hatte, und versicherte mir, er werde im Handumdrehen einen Käufer finden.
Jeden Tag ging ich in Sandycove zum Schwimmen, und jeden Abend spazierte ich mit Spud, den alten Zeiten zuliebe, bis zum Ende des Piers von Dun Laoghaire. Mrs. Dwyer war nicht so gut bei Fuß wie meine Mutter, und ihre Vorstellung von einem Spaziergang war ein gemächliches Schlendern um den Block. Spud fühlte sich, glaube ich, vernachlässigt, denn sein Verhalten mir gegenüber wurde ein bißchen weniger unwirsch, als ich anbot, ihn auszuführen.
Ein- oder zweimal bildete ich mir ein, Hanion erspäht zu haben, aber jedes Mal wem, ich mich umdrehte, war er nicht da. Reynolds ließ sich, Gott sei Dank, weit und breit nicht blicken. Die Freunde und Nachbarn meiner Mutter kamen vorbei, um ihr Beileid zu bezeugen, und ein- oder zweimal ging ich mit Freunden zum Essen. Nur eines tat ich nicht: die Sachen meiner Mutter durchsehen.
Vier oder fünf Tage später tauchte der Immobilienmakler mit einem jungen Paar auf, das sich auf Anhieb in das Haus verliebte. Sie machten ein Angebot für das Haus und einen Teil der Möbel, das ich annahm. Jetzt konnte ich es nicht länger hinausschieben, deren Inhalt auszusortieren.
Angesichts der Endgültigkeit dessen, was ich da machte, überfiel mich plötzlich panische Angst.
Ungefähr zehn Tage nach Lilys Beerdigung fing ich damit an. Ich trödelte beim Frühstück herum und sah mir die BBC-Nachrichten an. Sie brachten bereits die ersten Sendungen zum fünfzigsten Jahrestag der Kapitulation Japans. Ein Interview mit einem der Überlebenden der japanischen Kriegsgefangenenlager fesselte meine Aufmerksamkeit. Es stimmte mich traurig, als mir klar wurde, daß sie nicht viel älter waren als
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