Fallende Schatten
Geld umgehen. Auf ihre Weise eine gewiefte Geschäftsfrau.
Die Beschimpfungen nahmen kein Ende. Wenn sie einen anständigen Preis für das Haus bekommen hätte, wäre sie weggezogen. Hätte von Grund auf neu angefangen. Aber das war nicht so einfach mit dem Umziehen, in den fünfziger Jahren war alles ein bißchen schwierig. Ich selber habe in der Schule eine schreckliche Zeit durchgemacht. Drückeberger haben sie mich geschimpft. Was das bedeutete, habe ich erst verstanden, als ich älter war. Die waren damals ziemlich wütend über das Verhalten Irlands im letzten Krieg, das kann ich Ihnen sagen.«
O herrje, dachte ich, der hat sich im Fernsehen zu viele Gedenksendungen zum Kriegsende angeschaut. All das war bei der Fünfzigjahrfeier Anfang Juni gründlich durchgekaut worden. In der Tat hatte ein Dokumentarfilm mich sogar dazu gebracht, mir zum ersten Mal in meinem Leben Gedanken über Irlands Neutralität zu machen.
»Ja, ich weiß.« Gerade noch rechtzeitig verkniff ich mir die Bemerkung, daß ich schließlich in London wohnte und deshalb natürlich darüber Bescheid wußte. Statt dessen erklärte ich: »Ich habe Geschichte studiert«, und schämte mich anschließend meiner Großspurigkeit. Arthur Reynolds stellte ein wenig anziehendes Exemplar der menschlichen Rasse dar, aber er hatte eine hinterhältige Art, einen dazu zu bringen, Mitleid mit ihm zu haben. Ich weiß nicht, was mich davon abhielt, einfach davonzulaufen, außer daß ich seinen Mangel an Taktgefühl allmählich zum Lachen fand. Er übte eine seltsame Faszination aus. Vermutlich gehörte er zu der Sorte von Kerlen, die am Ende immer eine Ohrfeige bekommen. Wie recht ich damit hatte.
»Ich verstehe nicht, was das alles mit meiner Mutter zu tun hat«, unterbrach ich ihn. »Hat sie Ihre Familie gekannt?«
»Sie hat meinen Vater gekannt. Muß ihn gekannt haben. Sie hat in einem der Häuser gewohnt, die ihm gehört haben. In der Straße, wo er gestorben ist.« Der Song, den sie in My Fair Lady gestrichen haben; fast hätte ich angefangen, vor mich hin zu summen.
»Er hat einmal eine Menge Häuser und Grundstücke besessen. Aber weder Mutter noch ich haben etwas davon gehabt. Die haben Mutter betrogen.«
Na schön, jetzt ist es heraus, dachte ich verdrossen. Ein Spinner. Obwohl, was Lily mit dem Verschwinden der Häuser zu tun gehabt haben könnte, das konnte ich mir nicht vorstellen.
»Und darüber haben Sie mit meiner Mutter gesprochen?« Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, meine Ungläubigkeit zu verhehlen. Er antwortete nicht, sondern starrte nur in die Ferne, als versuche er, in seinem Kopf mit irgend etwas klarzukommen.
»Hätte es etwas gebracht, mit ihr zu reden?« beharrte ich.
»Ja, ich glaube schon. Aber ich hatte keine Gelegenheit dazu.«
»Oh, ich habe gedacht, Sie hätten gesagt …« Zu dem Zeitpunkt konnte ich mich kaum mehr erinnern, was er gesagt hatte, es war alles ein einziges Geschwafel gewesen. Aber ich spürte, er wollte damit indirekt irgend etwas Unangenehmes hinsichtlich meiner Ma zum Ausdruck bringen.
»Meine Mutter«, erklärte ich heftig, »war eine durch und durch anständige Frau. Ich hoffe, sie wollen damit nicht andeuten, sie hätte etwas mit A.«
»Ich wollte mit ihr nicht über die Häuser sprechen«, fiel er mir gereizt ins Wort. »Ich habe Ihnen nur erzählt, woher sie meinen Vater gekannt hat, mehr nicht. Habe die Hintergründe des Ganzen rekonstruiert.« Er erinnerte mich an einen ziemlich ekelhaften kleinen Terrier. Aus irgendeinem Grund machte mir diese gespenstische Vorführung begreiflich, wie Versager zu den furchteinflößendsten Tyrannen werden können. Aber mir konnte er keine Angst einjagen, ich starrte ihn einfach über den Rand meiner Tasse hinweg an. Bei der nun folgenden Bemerkung jedoch verschüttete ich den Kaffee über meine Bluse.
»Mein Vater wurde ermordet, verstehen Sie? Ich glaube, Ihre Mutter hat etwas darüber gewußt.« Er richtete seinen glasigen Blick unverwandt auf mich, ohne zu blinzeln.
»Ich glaube, Ihre Mutter wurde auch ermordet«, zischte er.
Jetzt war das Maß voll. Ich stieß ihm den verdammten Tisch direkt in den Bauch. Wie ein Goldfisch schnappte er nach Luft.
»Wie können Sie es wagen, etwas so Schreckliches zu sagen? Was erlauben Sie sich eigentlich, derart abscheuliche Behauptungen aufzustellen?« Ich rückte ganz dicht an ihn heran und spuckte ihm die Worte ins Gesicht. »Meine Mutter ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Glauben Sie etwa, Sie wissen
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