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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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sagte er nicht, daher wußte ich, er hatte meine Stimme erkannt. Ein paar Stunden saß ich da und las und wartete darauf, daß er noch einmal anriefe, aber er tat es nicht. Auch sonst passierte nichts. Ich trank ein paar Gläser kaltes Bier, und als ich ins Bett ging, hatte ich mir mit Erfolg eingeredet, daß lediglich das, was ich heute alles erledigt hatte, mich so durcheinandergebracht hatte.
    Es war schon ziemlich spät, als ich aufwachte. Die Sonne fiel durchs Fenster, als ich so dalag und dachte: Das hat meine Mutter jeden Morgen gesehen, wenn sie aufgewacht ist. Das Zimmer hatten wir gemeinsam hergerichtet. Die Wände und der dazu passende Teppichboden waren fuchsienrot. Ich hatte über ihre Wahl der Farbe gespottet, mußte jedoch zugeben, sie hatte es genau richtig getroffen. Die Bordüren und die Decke waren strahlend weiß. Das dreiteilige Schiebefenster war zwar nicht besonders groß, aber sie hatte bodenlange, eng geraffte Vorhänge aus weißem Musselin genäht, die die ganze Wand bedeckten. Das gebrochene Licht, das durch sie ins Zimmer strömte, war zauberhaft.
    Das Bett nahm ein gutes Drittel des Zimmers ein. Darüber war eine Tagesdecke aus altem grobem Leinen gebreitet; aus dem gleichen Stoff hatte sie ein Kopfteil angefertigt. Das einzige Bild im Raum, abgesehen von den unzähligen Photographien auf dem Kaminsims, war eine Reproduktion von Luinis lächelnder Vergine Santa, die ich vor einigen Jahren aus der Pinacoteca Ambrosiana in Mailand mitgebracht hatte. In einem Versuch, ihrem Geschmack ein wenig die Zügel anzulegen, hatte ich sie ganz schlicht gerahmt, aber irgendwann und irgendwo hatte Lily einen schweren, reich verzierten vergoldeten Rahmen dafür aufgetrieben, der weit besser dazu paßte. Ich beschloß, das Bild und auch die beiden kleinen Kommoden mitzunehmen. Nebenbei überlegte ich, ob ich ihr Farbmuster nachahmen sollte, ließ die Idee dann jedoch fallen; Davis würde einen Anfall bekommen.
    Meine Augen überflogen den Wirrwarr von Photos auf dem schmalen Kaminsims. Sie standen in drei Reihen da, und ich kannte sie alle. Die Meilensteine meines Lebens. Täufling, Kleinkind, die ersten Schritte, das erste Lachen, die Erste Kommunion, Firmung, Examen. In der Sonne, im Schnee, blau gefroren am Meer – beinahe konnte man meine Zähne klappern hören. Außerdem standen ein oder zwei Photos von meinem Vater da. Lily selber war kamerascheu gewesen. Von ihr existierten keine Photos, das wußte ich. In dem Moment fiel mein Blick auf einen kleinen Silberrahmen, den ich noch nie gesehen hatte. Das einzige, was ich erkennen konnte, waren Lilys unverwechselbaren weißen Haare. Ich hüpfte zu schnell aus dem Bett, stolperte und stieß mit dem Zeh gegen irgend etwas, das hinter den bodenlangen Vorhängen verborgen war. Ein qualvoller Schmerz durchzuckte mein Bein. Ich saß auf dem Boden, wiegte mich hin und her, bis der Schmerz nachließ, dann beugte ich mich vor, zog den Vorhang beiseite und lachte vergnügt.
    Es war der kleine Wagen. Als Kind hatte ich meine Katze damit herumgefahren. Er war klein und quadratisch, und an beiden Seiten waren Räder angebracht; er war aus einer alten Obstkiste gemacht, zumindest hatte sie mir das erzählt, und die rote Lederpolsterung an den Ecken war abgewetzt. Ich hatte ihn immer an einem kurzen Strick hinter mir her gezogen. Die Katze war davon nicht so begeistert gewesen. Sie hatte das Ding fast genauso gehaßt, wie in Puppenkleider gesteckt zu werden. Schließlich war sie von zu Hause weggelaufen und nie mehr zurückgekommen.
    Die Räder waren nicht mehr dran. Ich bückte mich, um den Wagen hochzuheben. Seltsam, wenn man einen vertrauten Gegenstand hochhebt, setzt man genau die Kraft ein, die dem Gewicht entspricht. Der Wagen rührte sich nicht vom Fleck, und als ich die Hände anhob, waren sie leer. Ich lüpfte das kleine Kissen, das genau in den oberen Teil paßte, und entdeckte darunter eine Abdeckplatte, die ein paar Zentimeter tiefer eingesenkt war, exakt unter die Lederpolsterung eingepaßt. Sie war mit zwei Messingschrauben befestigt. Ich versuchte, den kleinen Sitz heraus zuheben, aber er rührte sich nicht von der Stelle.
    Während ich vergeblich den Schraubenzieher suchte läutete das Telefon. Eine reichlich herrische Stimme befahl mir, umgehend das golden-grüne Kleid zu liefern. Als ich zögerte, erwähnte sie ihre vergebliche Fahrt vor drei Tagen und meinte, ich schulde ihr eine Gegenleistung. Diese witzige Bemerkung gefiel mir so gut, daß ich

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