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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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welches. Grün und golden. Ich rufe sie an. Danke, Mrs. Dwyer.« Ich steckte den Zettel mit der Nummer in die Tasche, ging unter die Dusche und vergaß ihn prompt einige Tage lang.
    Von Lilys Kleidern konnte ich keines behalten, selbst wenn ich es gewollt hätte, sie waren viel zu klein. Ohne Schuhe bin ich einsachtundsechzig – gut fünfzehn Zentimeter größer als sie. Und auch im Aussehen unterschieden wir uns; sie war dunkelhaarig gewesen, ich bin blond, wie mein Vater. Als ich zwei große Koffer bis zum Überquellen mit ihren Sachen vollstopfte, schaltete ich mein Denken und meine Erinnerung ab. Irgendeine klein gewachsene Person würde im örtlichen Wohlfahrtsladen auf eine Goldgrube stoßen. Ich lieferte den ersten Schwung ab, fuhr nach Hause zurück und füllte die Koffer noch einmal. Beim zweiten Mal ließ ich die alten Koffer ebenfalls in dem Laden und fühlte mich auf der Stelle seltsam erleichtert. Zumindest konnte ich mich jetzt in ihrem Zimmer aufhalten, ohne vom Duft ihres Parfüms irritiert zu werden.
    »Chanel No. 5, Schätzchen«, hatte sie mit dem für sie charakteristischen Zwinkern immer gesagt. »Was gut genug für Marilyn ist, das ist für mich gerade recht.« Nun würde ich nicht mehr Gefahr laufen, aus Versehen eines ihrer Lieblingskostüme oder -kleider zu streifen. Die Stoffe, aus denen sie ihre Garderobe angefertigt hatte, waren wie ihr Garten gewesen: ein Meer von Farben. Ihre Verzweiflung angesichts meiner jugendlichen Vorliebe für durch nichts aufgelockertes Schwarz entsprach an jenem heißen Nachmittag genau meiner.
    Auf beiden Seiten ihres Bettes standen zwei kleine Kommoden, die mein Vater gezimmert hatte. Eine war mit Unterwäsche und Strümpfen angefüllt. Nachdem ich diese letzten, so intimen Sachen eingepackt und in den Müll geworfen hatte, ließ ich es für diesen Tag gut sein, ging zum Kohlenkai hinunter und kaufte mir ein paar Garnelen fürs Abendessen. Als ich zurückkam, dämmerte es bereits.
    Der Verstand spielt einem üble Streiche, stimmt’s? Das Haus war allem Anschein nach genauso, wie ich es verlassen hatte, und dennoch, als ich mein Abendessen zubereitete und verzehrte, machte sich immer nachdrücklicher ein leiser Verdacht in mir breit, daß irgend etwas anders war. Ich schaute in jedem einzelnen Zimmer nach, fand jedoch nichts, das meine Angst bestätigt hätte. Ein oder zwei Sachen, Briefe, die ich an die Gas- und Elektrizitätswerke geschrieben und in denen ich um eine Endabrechnung gebeten hatte, und mein Tagebuch lagen möglicherweise ein bißchen anders da, aber der Unterschied war so geringfügig, daß ich glaubte, mir das lediglich einzubilden. Irgendwie war ich immer noch verstört von dem merkwürdigen Gebaren der Herren Hanion und Reynolds. Ich trank ein Glas Wein und zwang mich, rational über diese Vorfälle nachzudenken.
    Falls sie gemeinsame Sache machten, dann waren sie dabei, die Lage auszukundschaften.
    »Wenn das der Fall ist, muß es hier irgend etwas zu stehlen geben«, grummelte ich laut vor mich hin. Aus irgendeinem Grund übte der Klang meiner Stimme eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Ich ging durchs Haus, um nachzusehen, ob irgend etwas mir ins Auge stach. Es gab zwar eine Menge hübscher Dinge, aber nichts von großem Wert, abgesehen vom Fernseher, dem Videogerät und der Hi-Fi-Anlage, aber das war normalerweise etwas, worauf Jugendliche es abgesehen hatten, die Geld für Drogen brauchten. Weder Reynolds noch Hanion sahen so aus, als seien sie besonders knapp bei Kasse. Die ganze Sache war eindeutig absurd. Nichts als ein Hirngespinst von mir. Was also wollten sie? Was hatten sie vorgehabt? fragte ich mich. Darauf fiel mir keine Antwort ein, aber zumindest hatte ich mir die Angst ausgeredet, von durchgedrehten Drogensüchtigen eins über den Schädel gezogen zu bekommen.
    Ich wusch gerade das Geschirr ab, als das Telefon läutete. Ich erstarrte, hörte auf das schrille Klingeln, zehn-, zwölfmal. Als ich den Hörer abnahm, hatte der Anrufer bereits aufgelegt. Ich legte ebenfalls wieder auf und war auf dem Weg zurück in die Küche, als es erneut klingelte.
    »Nell? Wo, zum Teufel, steckst du? Seit Tagen versuche ich dich anzurufen.« Davis klang nicht allzu erfreut. »Warum gehst du nicht ans Telefon? Nell? Bist du da? Wann kommst du zurück? Nell? Hörst du mir überhaupt zu?«
    »Miss Gilmore ist leider nicht da.« Ich erstaunte mich selber mit meinem besten Cork-Tonfall. »Kann ich etwas ausrichten?«
    »Ich rufe zurück«, mehr

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