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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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Ohrensessels und umklammerte immer noch die Kleiderhülle.
    »Näht … hat meine Mutter viel für Sie genäht?« Meine Frage überraschte und belustigte sie offenbar ein wenig.
    »Im Lauf der Jahre, ja. Rose Vavasour hat sie mir empfohlen; das ist jetzt, hm, ungefähr zwanzig Jahre oder noch länger her. Kannten Sie die gute alte Rose?« Durchdringend blickte sie mich an. »Aber vielleicht sind Sie dazu noch zu jung.«
    »Nicht zu jung, aber ich bin ihr nur ein paarmal begegnet.« Ich öffnete den Reißverschluß der Kleiderhülle. »Ich glaube, sie hat meiner Mutter das Nähen beigebracht.« Ich holte das Kleid hervor und streckte es ihr hin. Ihre langen, schlanken Hände streichelten den weichen, wunderschönen Stoff. Sie nahm das Gewand und hielt es sich vors Gesicht, so daß ich nicht in ihren Augen lesen konnte.
    »Dann hat die Schülerin die Lehrmeisterin übertroffen«, meinte sie. »Woher«, ihre Stimme klang leise, gedämpft, »woher kannte Ihre Mutter Mrs. Vavasour?«
    Genau diesen Augenblick suchte eine der Katzen sich aus, um mir auf den Schoß zu springen. Ich erschrak derart, daß ich das Teeglas auf den Teppich fallen ließ. Ich fuhr auf und starrte auf den sich ausbreitenden Fleck und dann auf meine Gastgeberin, die meine Erregung ignorierte und die Frage wiederholte.
    »Keine Ahnung«, erwiderte ich. In meinem Beruf war ich nicht durch Naivität vorangekommen; ihre Beharrlichkeit warnte mich und vermittelte mir das Gefühl, sie habe eine wichtige Frage gestellt. Zwar schien sie eher belanglos, aber ich war auf der Hut. Wenn sie derart daran interessiert war, warum hatte sie dann nicht Lily gefragt? Vielleicht hatte sie das. Wenn Lily ihre herrischen Fragen abgeblockt hatte, dann mußte sie einen triftigen Grund dafür gehabt haben.
    »Setzen Sie sich doch, meine Liebe. Ich hole etwas, um den Tee aufzuwischen. Schenken Sie sich noch ein Glas ein.« Sie stieß die Flügeltür zu dem angrenzenden Raum auf und verschwand.
    Nach einigen Minuten, in denen alles still blieb, schlich ich auf Zehenspitzen darauf zu und spähte hinein. Der Raum, ebenso prachtvoll wie der Salon, war abgedunkelt; ein zartes Blau und eine Fülle weißes Balkenwerk. Auf einem schimmernden Mahagonitisch in der Mitte des Raums döste eine getigerte Katze. Unter ihm hatte sich eine weitere ausgestreckt. Ich schauderte.
    Als das »etwas, um den Tee aufzuwischen« mit einem kleinen Plastikeimer in der Hand hereinkam, saß ich wieder in meinem Sessel. Ohne mich zur Kenntnis zu nehmen, kniete das ältliche Dienstmädchen sich auf den Boden und schrubbte heftig auf dem Teppich herum; anschließend verschwand es genauso lautlos, wie es gekommen war.
    »Was halten Sie davon?« Madame war wieder aufgetaucht, in Grün und Gold gewandet. Es war ein hinreißendes Kleid, eindeutig Lilys Kopie eines Modells von Jean Muir. Naomi Campbell hätte es nicht besser vorführen können. Sie hatte andere Schuhe angezogen. Sie waren von einem um eine Spur dunkleren Grün als das Kleid, aus weichem Wildleder gefertigt und mit winzigen geschliffenen Goldknöpfen gesprenkelt, die im Licht glitzerten. Sie bemerkte, wie ich sie anstarrte, und schwang wie ein kleines Mädchen den Rock hin und her.
    »Gefällt es Ihnen?«
    »Ich wünschte, es gehörte mir.« Mehr brachte ich nicht heraus.
    »Ihre Mutter war geschickt«, erklärte sie und zog die Augenbrauen hoch. »Sehr geschickt sogar. Hat sie viele Sachen für Sie gemacht?«
    »Nein, nicht besonders viele. Sie mußte ihren Lebensunterhalt verdienen. Aber ein paar Kleider habe ich schon.« Ich stellte mein Glas auf den Tisch.
    »Ich vermute, wir haben sie nicht gebührend bezahlt«, erklärte sie gedehnt und wartete aufmerksam meine Reaktion ab. »Wird schwierig werden, einen Ersatz für sie zu finden.«
    O du armes Wesen! Wie, um alles in der Welt, wirst du ohne deine kleine Schneiderin zurechtkommen? Achte nicht weiter auf mich, sie war ja nur meine Mutter.
    »Ich gehe davon aus, daß Sie da weitermachen, wo sie aufgehört hat?« fragte sie leichthin, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre Augen bohrten sich in meine. Ich glaube, ich habe meinen Mund auf- und zugemacht wie ein Goldfisch.
    »Nein. Ich bin keine Näherin. Würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen, Mrs. hm, Mrs …«
    »Hanrahan. Hanora Hanrahan. Alliteration ist furchtbar langweilig, finden Sie nicht? Normalerweise nennt man mich HC. Mein zweiter Vorname ist Constance.« Sie neigte anmutig den Kopf. »Und Ihrer? Aha, Nell? Nell Gilmore.

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