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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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beruhigt hatte. Warum also nicht auch sie?
    Vielleicht setzte die Hitze mir zu, aber im Verlauf dieses bedeutungsschweren Besuchs hatte ich eindeutig den Eindruck gewonnen, Mrs. Hanrahan habe Lily nicht gemocht. Oder ihr nicht ganz getraut. Womit wir quitt waren, denn ich mußte zugeben, weder mochte ich Mrs. Hanrahan, noch traute ich ihr. Oder mißfiel mir einfach, die Empfängerin von etwas zu sein, das in meinen Augen ein Almosen war? Vielleicht hatte sie letztlich doch ernst gemeint, was sie gesagt hatte. Hatte, nachdem sie es überprüft hatte, festgestellt, daß sie meiner Mutter noch die ansehnliche Summe von fünfhundert Pfund schuldete. Für ein einziges Kleid, wie schön es auch war, schien das ziemlich viel zu sein. Nun ja, das wäre leicht nachzuprüfen. Die Bank hatte mir die Kontoauszüge meiner Mutter zugeschickt, und ihr Rechnungsbuch befand sich immer noch im Haus. Vielleicht, so dachte ich mir, würde ich den Abend mit etwas Detektivarbeit verbringen.
    Dann hatte ich, als ich den Motor anließ, einen Geistesblitz. Genauer gesagt: zwei. Ich beschrieb eine Kehrtwendung und fuhr Richtung Ringsend.

17
    Die Daedalian Road lieferte mir keine Antworten, zumindest nicht an jenem Tag. Ich verstand beim besten Willen nicht, was meine Mutter in eine so trostlose Gegend gezogen hatte, außer sie hatte die Straße als Abkürzung zwischen Sandymount und Ringsend benutzt. Oder umgekehrt. Ich wußte nicht, hatte auch nicht daran gedacht, zu fragen, in welche Richtung sie gefahren war. Vermutlich hatte der Polizist es mir gesagt, aber ich konnte mich nicht genau erinnern, auf welchem Abschnitt sie vom Fahrrad gestoßen worden war.
    Die Straße zieht sich lange hin, beginnend bei der Newbridge Avenue über den Fluß Dodder. Dann kreuzt sie die Londonbridge Road, ehe sie in die Bath Street mündet, die zwischen Irishtown und Ringsend liegt. Parallel dazu verläuft die Eisenbahn, die zwischen den beiden Stationen Landsdowne Road und Lotts Road eine Schleife beschreibt.
    Langsam fuhr ich die Straße schätzungsweise eine halbe Meile entlang. Am Sandymount-Ende stehen zehn oder zwölf ziemlich scheußliche Zweckbauten aus den fünfziger Jahren sowie etliche Garagen. Die Straße schlängelt sich gemächlich dahin, aber im mittleren Abschnitt beschreibt sie eine scharfe Kurve, dort, wo sich ein dreiecksförmiges Gelände mit einfachen, jetzt leer stehenden und mutwillig beschädigten flachen Bürohäusern, die über und über mit Zetteln »Zu verkaufen« beklebt sind, erstreckt. Sie sehen aus, als stammten sie ebenfalls aus den Fünfzigern: Monumente aus abbröckelndem grauem Beton mit von verrosteten, dünnen, im unvermeidlichen Grün gestrichenen Metallrahmen eingefaßten Fenstern. Selbst an einem so strahlenden, sonnigen Tag wirkten sie ungeheuer deprimierend. Bei soviel Beton war Grau die vorherrschende Farbe. Ich konnte mir vorstellen, wie es hier an einem regnerischen Tag aussah: grauer Himmel, grauer Regen, graues Meer, graue Straßen, graue Gebäude. Wahrhaft herzerfrischend.
    Neben dem verlassenen Industriegelände hatte man einen armseligen Spielplatz angelegt, auf dem zwei Jugendliche im Schatten einer verkümmerten Platane rauchten. Im Anschluß daran verkamen die Häuser nach Ringsend hinein immer mehr. Nur die eine Straßenseite war bebaut; auf der anderen verliefen nahezu über die ganze Länge die Eisenbahngeleise.
    Ich parkte den Wagen in der Nähe des Spielplatzes und ging langsam erst in die eine, dann in die andere Richtung. Fast ununterbrochen fuhren Züge vorbei; die Lotts Road Station war nicht weit entfernt. Zur Dun Laoghaire Station derselben Eisenbahnlinie brauchte man zu Fuß von unserem Haus aus lediglich sieben Minuten. Da meine Mutter so etwas wie eine begeisterte Bahnfahrerin gewesen war und als Rentnerin kein Fahrgeld zu zahlen brauchte, kam es mir einigermaßen merkwürdig vor, daß sie fünf oder sechs Meilen geradelt war. Sie mußte einen zwingenden Grund dafür gehabt haben, ihr Fahrrad zu benutzen.
    Ich hatte gespürt, wie die Jugendlichen auf dem Spielplatz mich beobachtet hatten, also ging ich auf sie zu und fragte, ob sie etwas über den Unfall wüßten. Ohne zu antworten, glotzten sie mich mißmutig an. Als ich mich umdrehte, um wieder zu gehen, rief einer der beiden mir nach: »Sie meinen, wie die Alte vom Fahrrad gerempelt worden is? Die is ewig da rumgeflackt, hat mein Dad gesagt. Wir war’n nicht da«, fügte er hinzu, als könnte ich ihn irgendwie beschuldigen.
    »Wißt

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