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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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langen schwarzen, durchscheinenden Rock und ein dazu passendes Oberteil mit Stehkragen und eng um die Handgelenke geknöpften Ärmeln gekleidet. Zwei außergewöhnlich lange, schlanke Füße, die in leuchtend purpurfarbenen, mit Silberschnallen verzierten Schuhen steckten, spitzten unter dem Rock hervor. Die Länge wie auch die Extravaganz der Schuhe und der dazu passenden hauchdünnen purpurfarbenen Strümpfe, die sich um die schmalen Fesseln schmiegten, faszinierten mich. Meine eigenen Füße, die in schäbigen alten Sandalen steckten, kamen mir wie Schweinshaxen vor. Sie wirkte distanziert, gelassen und leicht belustigt und war mir gegenüber sofort im Vorteil.
    »Wer, sagten Sie, sind Sie?« fragte sie herrisch, als hätte nicht sie auf meinem Kommen bestanden.
    »Ich bin die Tochter von Mrs. Gilmore. Sie haben wegen dieses Kleides angerufen.« Ich deutete auf die schwarze Kleiderhülle aus Plastik, die ich in der Hand hielt. Aber ich gab sie ihr nicht. Meiner Meinung nach verdiente sie Lilys Arbeit nicht.
    »Sie haben mich gestern Abend angerufen, falls Sie sich erinnern. Möglicherweise haben Sie sich geirrt? Ich weiß beim besten Willen nicht, wer Sie sind und ob das Kleid wirklich Ihnen gehört.« Ich muß genauso unverschämt und mürrisch geklungen haben, wie ich mich fühlte, denn sie richtete sich auf so drohende Weise zu voller Größe auf, daß ich mich unwillkürlich duckte, als wollte ich einem Schlag ausweichen.
    Zu meiner ungeheuren Verärgerung lachte sie. »Ich fresse Sie schon nicht, mein Kind«, erklärte sie, obwohl sie genau diesen Eindruck erweckte. Spöttisch zog sie die Augenbrauen hoch. »Sie werden sehen, das Kleid gehört tatsächlich mir. Die grüne Seide, die Mrs. Gilmore für mich verarbeitet hat, stammt von Fortuny in Venedig. Handdurchwirkt mit Gold. Genügt Ihnen das?« Ein vergnügt glucksendes Lachen kam tief aus ihrer Kehle. »Nun, wollen Sie nicht hereinkommen und mir zeigen, was Sie da haben? Vielleicht verraten Sie mir sogar, wie Sie heißen?« Das war eher ein Befehl als eine Bitte. Ich antwortete nicht.
    Die Eingangshalle, von der aus eine hinreißende geschwungene Treppe nach oben führte, war schlichtweg vollkommen. Durch eine elliptische Kuppel im Dach fiel gedämpftes Licht. Ein prachtvoller smaragdfarbener Teppich schlängelte sich von der Tür aus soweit das Auge reichte. An den cremefarbenen Wänden hingen riesige alte Landkarten in vergoldeten Rahmen. Am Fuß der Treppe leckte eine erlesene Burmakatze sich geziert die Pfoten. Und auf dem ersten Treppenabsatz schlug eine hohe Standuhr die Stunde.
    »Wunderschön.« Ich konnte einen Ausruf der Bewunderung nicht unterdrücken. Es war himmlisch. Ich drehte mich um und händigte ihr das Kleid aus. Ehrlich gesagt, ich kam mir reichlich albern vor. Und ärmlich. Es gibt Leute, die üben eine solche Wirkung aus: man fühlt sich unwohl in seiner Haut. Minderwertig. Diese Frau, das spürte ich, war versessen auf Macht. Ihr hoher Wuchs ließ mich klein erscheinen. Ich fragte mich, wie meine arme Mutter mit ihren einsfünfzig und noch was damit zurechtgekommen war.
    »Ihr Kleid. Ich muß leider gehen, ich habe es ziemlich eilig.« Ich streckte ihr das Gewand hin, aber sie übersah es schlichtweg.
    »So schnell? Wollen Sie sich nicht auch die anderen Räume ansehen?« Zu meinem Unbehagen nahm sie mich fest am Arm und führte mich in den Salon. »Ich habe mir gerade Eistee kommen lassen. Wollen Sie auch einen Schluck?« Sie musterte mich von oben bis unten. »Ein recht erfrischendes Getränk.«
    Auf dem roten Sofa hatte es sich eine weitere Katze, ein riesiger weißer Perser, bequem gemacht. Der Raum war ebenso elegant gestaltet wie die Halle, aber dunkler. Die Wände waren mit verblaßter roter Seide verhängt, und die dazu passenden, halb zugezogenen Vorhänge ließen nahezu kein natürliches Licht ein. Als meine Augen sich an die Düsterkeit gewöhnt hatten, sah ich, noch mindestens vier weitere Katzen waren elegant über den Raum verteilt. Ihr Angst einflößendes Basiliskenstarren paßte zu den Blicken Madames, wie sie vor dem Samowar saß und hellen Tee in ein hohes, schlankes Glas goß. Sie fügte eine Zitronenscheibe und ein Zweiglein Minze hinzu und ließ das Glas dann in eine silberne Fassung gleiten.
    »Setzen Sie sich, setzen Sie sich, meine Liebe. Erzählen Sie mir etwas über sich«, befahl sie und reichte mir den Tee. Aus Angst, ich könnte eine ihrer Katzen erdrücken, balancierte ich auf der Vorderkante eines

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