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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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wie ich mich gebückt und es aufgehoben habe. Ich habe es zu Mrs. Heaney runtergebracht. Sie hat gesagt, von jetzt an können wir bei ihr anschreiben lassen. Sie hat mir ein paar Scheiben Speck und ein paar Kartoffeln geschenkt. Hat gesagt, ich soll ein bißchen Suppe für Jimmy kochen, weil der halb verhungert aussieht. Mr. Handls Laden war immer noch zu und die Rolladen runtergelassen. Mrs. Heaney hat gesagt, es ist ihm schlecht gegangen, mit seinem Herz, ein paar Tage nach den Bomben. Vielleicht ist er auch weg?
    Meine Ma steht einfach nicht auf. Sie sagt, jetzt haben wir gar nichts mehr, jetzt, wo Buller nicht mehr da ist. Armer Buller, wie geht’s dir denn? Er hat uns immer zu Tode erschreckt, und jetzt jammert sie ihm nach. Das macht mich richtig krank. Die ersten paar Wochen war sie prima. An einem Tag ist sie mit uns zum Planschen nach Sandymount. Jimmy hat es gefallen. Sie hat mich gefragt, wo ich den Wagen herhab, aber ich hab es ihr nicht gesagt. Ich hab gesagt, Martin hat ihn mir gebracht. Martin hat Angst vor meiner Ma, deshalb wird er nichts sagen. Sie sagt, der ist nicht ganz richtig im Kopf, weil er bei der Polizei ist. Sie hat das Geld genommen, das ich verdient hab, weil ich für Rose Säume genäht hab. Für jeden Saum krieg ich Sixpence.
     
    HMS Malaya … Das Ferienlager ist vorbei. Dieses uralte Schlachtschiff war in der Schlacht von Jütland – im Ersten Krieg. Prächtiges altes Ding. Verdammt ungemütlich. Hoher Seegang, furchterregend. Mir tun die armen Schweine im Maschinenraum leid. Auf dem Schiff sind ein paar Iren, hauptsächlich aus Belfast. Denen weiche ich aus. Die meisten sind Evangelen. Ich habe so ein Gefühl, was auch immer die sind, sie würden in jedem Fall sagen, daß sie Evangelen sind – mit uns aus dem Süden wollen sie nichts zu tun haben. Man hätte meinen können, der Kampf für eine gemeinsame Sache würde uns zusammenschweißen, aber das tut er nicht. Ich hätte nie gedacht, daß katholisch ein Schimpfwort sein könnte, aber das ist es. Papistisch. Neulich hat jemand mit Kreide auf meinen Spind geschrieben: »Scheiß auf den Papst«. Glücklicherweise nicht mit Farbe. Ich habe es also einfach weggewischt und nichts gesagt. Darauf läuft mein Leben mehr oder weniger hinaus – nichts zu sagen. Ich bin der Mann aus dem Nirgendwo geworden.
     
    Mr. Handl ist tot. Das hat Mrs. Heaney gesagt. Ist oben in Terenure bei einem Verwandten gestorben. Es tut mir so leid. Er war ein wunderbarer alter Mann. Es ist nichts zu essen im Haus, und Jimmy ist schon wieder erkältet. Ich glaube, ich könnte Lyrics ein paar Lebensmittelmarken verkaufen. Er hat gesagt, die besten sind die für Butter. Butter können wir sowieso keine kaufen, also macht das keinen Unterschied für uns. Ich habe gesagt, ein Penny für eine Marke, das ist zu wenig.
    Freitag vor zwei Wochen ist Mrs. Reynolds vorbeigekommen. Sie hat einen kleinen Jungen dabeigehabt, der in seinem Kinderwagen gesessen ist. Er war ganz blau angezogen und hatte eine große Ringellocke oben auf seinem Kopf. Aber er sieht nicht so lieb aus wie Jimmy. Sein eines Auge schielt. Wenn Jimmy solche Kleider hätte wie der, würde er prima ausschaun. Mrs. Reynolds hat gesagt, er heißt Arthur, aber sie hat ihn die ganze Zeit Baba genannt. Sie hat gesagt, sie kann ihn nicht allein lassen, also haben wir die Miete draußen auf der Treppe zahlen müssen. Rose hat gesagt, sie würde ein paar Minuten auf ihn aufpassen, aber Mrs. Reynolds hat das nicht gewollt, sie hat ausgesehen, als hätte sie geglaubt, wir würden sie mit Läusen anstecken oder so. Rose hat gesagt, wir sollen gar nicht auf sie achten, sie hat nur Angst vor uns allen, und das sei doch normal nach dem, was mit ihrem Mann passiert ist. Darauf wäre ich nie gekommen. Daß sie Angst vor uns haben könnte.
     
    Jeden Tag seekrank. Ich werde immer magerer. Gott sei Dank brauche ich mich selber nicht anzuschauen. Sie nennen mich Latte. Das macht mir nichts aus. Die machen einem das Leben schwer, wenn man einen irgendwie ungewöhnlichen Namen hat. Als ich mich freiwillig gemeldet habe, hat der Rekrutierungsoffizier gesagt: »Hör auf mich, mein Sohn, nenn dich Jack.« Das war ein guter Rat. Ich bin also die Latte oder Jack. Ich hasse das Leben an Bord eines Schiffs. Die ganze Zeit sind Leute um einen herum. Seit Monaten habe ich kein Buch mehr in der Hand gehabt. Es ist entsetzlich. Schiffe sind so verdammt laut, überall sind Leute. Ich würde alles dafür geben, auf einer

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