Fallende Schatten
schlitze die Haut fein säuberlich auf, und als ich sie anhebe, ergießt sich ein Blutschwall über mich. Mit ausgestreckten Armen rennt die Kleine schreiend auf mich zu. In der Hand hält sie die Leinentasche, die auch blutbesudelt ist. Die Frau am Fenster lacht uns aus. Zeigt auf uns und lacht.
Ich darf nicht darüber nachgrübeln. Will es nicht. Ich habe Angst, nach Hause zu schreiben, falls die Polizei noch dort rumschnüffelt. Von zu Hause erzähle ich nie etwas, aber das fällt niemandem auf. Es gibt hier eine Menge böses Blut wegen Irlands Neutralität. Ich kann ihnen das nicht übel nehmen, allmählich empfinde ich selber so. Die Städte hier stehen unter Dauerbeschuß. Schrecklich. Letztlich war der North Strand nur eine Lappalie. Tagtäglich kommen Hunderte Frauen und Kinder um. Tausende. Die Städte werden ständig bombardiert.
Nahrungsmittel sind sehr knapp. Die Zivilisten machen eine schreckliche Zeit durch.
Zwei Jahre, und Martin fragt mich immer noch wegen dieser Nacht aus. Was ich gesehen habe. Wann ich dies oder jenes oder was ganz anderes getan habe. Der geht mir auf die Nerven. Aber ich muß mich mit Rose gut stellen, sonst haben wir überhaupt nichts zu essen. Ich bin zur Ringsend-Kirche runter und hab vor der Statue vom heiligen Antonius eine Kerze angezündet. Ich hab gesagt, mein Leben lang werd ich brav wie ein Engel sein und nichts klauen und mich um Jimmy kümmern, wenn er nur M für mich findet. Der heilige Antonius ist prima im Finden von Sachen, die man verloren hat. Man braucht nur drei Ave-Maria zu beten. Das hat Rose gesagt. Den Penny, um die Kerze zu bezahlen, habe ich nicht gehabt, aber ich hab trotzdem eine angezündet. Und den ganzen Rosenkranz aufgesagt. Ich hab gedacht, das würde das wettmachen, aber ich schätze, das war Stehlen. Und geholfen hat es überhaupt nichts.
HMS Malaya, 1943. Wir üben für etwas Großes, kein Mensch sagt uns, was, aber ich glaube, wir bleiben nicht mehr lange hier. Die ganze Zeit ist es kalt und naß. Wir waren in Scapa Flow droben, und jetzt dampfen wir südwärts. Ich weiß nicht, wie ich das durchhalten soll. Manchmal habe ich solche Angst, ich könnte schreien. Aber wir sind Männer, und wir sind Matrosen, und wir alle tun zumindest so, als wären wir tapfer. Das ist nicht leicht, wenn die ganze Zeit Freunde von einem getötet werden. Man hat sie kaum kennengelernt, und schon sind sie tot. Letzten Monat hat es Peadar erwischt.
Ma ist völlig daneben. Brüllt und schreit die ganze Zeit und schlägt Jimmy, sooft er weint. Ich bin mit der Bürste auf sie los. Ich schwöre zu Gott, ich bring sie um, wenn sie ihn noch einmal schlägt. Die meiste Zeit geht es ihm fürchterlich schlecht. Und er hört nicht auf zu schreien. Er hat Hunger, aber das einzige, was er bei sich behält, ist Milch. Die Boylans ein Stockwerk tiefer beklagen sich dauernd, daß sie nicht schlafen können.
Ich denke die ganze Zeit an L. Ich weiß nicht, wann mir klar geworden ist, daß ich sie lieb habe, aber es ist so. Ich erinnere mich, wie ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Sie hat das arme Kind im Arm gehalten. Mein erster Gedanke war, der könnte ein gründliches Bad nicht schaden. Mir ist gar nicht aufgefallen, wie hübsch sie ist, bis wir in das Krankenhaus gekommen sind und die Schwester gefragt hat, ob sie die Mutter ist. Ihr blasses Gesichtchen ist ganz rosa geworden, wie eine kleine Blume hat sie ausgesehen. Ich hatte auch gedacht, daß es ihr Kind ist. Aber es hat zur Mutter gehört. Wenn man die überhaupt als eine Mutter bezeichnen kann. Und ich weiß auch, wer der Vater ist. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er auf mich losgegangen ist, als ich gesagt habe:»Warum haben Sie sie nicht … & SÖHNE genannt?«
Lyrics Cotter sagt, wir werden alle aus den Häusern rausgeschmissen, weil sie verkauft werden. Er sagt, wir müssen alle zusammenhalten und uns verbarrikadieren. Die traditionelle Einstellung des irischen Volkes gegenüber seinen Ausbeutern und Unterdrückern. Ich hoffe, ich habe das richtig geschrieben. Der alte Lyrics spielt sich furchtbar auf. Und er ist ganz groß darin, alle anderen dazu zu bringen, die Drecksarbeit für ihn zu machen. Die stellen ein Komitee auf. Gott steh uns bei. Keiner von denen will mit Ma reden. Sie war die ganze Nacht weg. Als ich aufgestanden bin, hat sie am Tisch fest geschlafen und einen Zigarettenstummel in der Hand gehabt. Der hat ein Loch in den Tisch gebrannt. Schade, daß sie das Haus nicht in Brand
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