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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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gesteckt hat. Heut Abend ist sie wieder weg. Jimmys Husten ist furchtbar schlimm. Ich habe Angst.
     
    Ob sie es irgend jemand sagt? Ob sie das macht? Wie kann ich so etwas auch nur denken? Ich habe sie immer noch so in Erinnerung, wie sie an dem Vormittag ausgesehen hat, als ich weg bin. Die Tasche an die Brust gepreßt, den Finger auf den Lippen. Ganz still ist sie dagestanden. Reglos wie eine Statue. So sehe ich sie vor mir. Ich wollte zu ihr hin laufen und sie mitnehmen. Ich bin zu nichts zu gebrauchen, ich tauge zu nichts.
     
    Ich habe es nicht mehr ausgehalten, also bin ich weg. Außerdem ist Jimmy so krank, daß ich ihn nicht mitnehmen kann. Aber dalassen kann ich ihn auch nicht. Ich weiß nicht, was wir wegen der Miete machen sollen. Rose hat gesagt, ich soll Mrs. Reynolds sagen, daß ich wieder zu ihr komme. Die redet sich leicht. Was soll ich mit Jimmy machen? Ich habe gedacht, Rose würde mir anbieten, auf ihn aufzupassen, aber sie kommt kaum selber zurecht mit Sean und dem neuen Baby und der ganzen Näherei. Ich wollte, ich wäre tot. Ich will nicht mein ganzes Leben lang schnorren und betteln. Das habe ich neulich gemacht. Hab meine Schuhe ausgezogen und mich in die Grafton Street gesetzt. Ein Polizist hat uns weggescheucht. Hat gesagt, das nächste Mal würde er mich einsperren. Jimmy hat schrecklich gehustet. Aber ich habe drei Shilling und Fourpence in Münzen ergattert.
    Ich schwöre zu Gott, ich würde wegrennen, wenn Jimmy nicht wäre. Aber wo soll ich hin? Was ist, wenn ich nicht da bin, wenn mein Dad zurückkommt? Mit dem alten heiligen Antonius red ich nicht mehr. Ich glaub, ich probier’s mal mit dem heiligen Judas. Dem Schutzheiligen für aussichtslose Fälle. Wie mich. Ich weiß, Dad kommt nie wieder zurück. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf.
     
    Sie fehlt mir so sehr. All die anderen Jungs erzählen die ganze Zeit von ihren Liebchen. Und besuchen sie, wenn sie Landurlaub haben. Was kann ich schon machen? In London rumhängen? Manchmal wünschte ich, eine Bombe würde mich treffen. Wenn wir zurückkommen, erfinde ich Geschichten. Daß mein Mädchen einen Krankenwagen fährt. Bis jetzt habe ich mich damit durchgemogelt. Ich komme mir albern vor.
     
    Rose und Martin versuchen, ein Genossenschaftshaus zu kriegen. Fast haben sie es schon. Martin sagt, er kennt jemand, der was zu sagen hat, der kann sie auf die Liste bringen. Ich bin mir nicht sicher, welche Liste. Er ist seit Ewigkeiten nicht mehr bei der Polizei, fährt jetzt einen Lieferwagen für Boland’s.
    Ich lerne gerade Doppelsäume nähen. Rose macht wunderschöne Nachthemden aus so einem alten Stoff, den ihre Mutter ihr gegeben hat. Sie sagt, es ist echtes Leinen. Ich finde, es sieht aus wie ein altes Bettuch. Jedenfalls, ich mache die seitlichen Säume. Neulich hat sie gesagt, ich hätte die geschicktesten Finger, die sie je gesehen hat. Ich nähe gern für Rose. Ein bißchen rechthaberisch ist sie schon, aber sie schreit nie. Ich hoffe, sie zieht nie hier aus.
     
    Ich muß die ganze Zeit an sie denken. Habe ich sie je als kleines Mädchen betrachtet? Ich glaube nicht, vom ersten Tag an nicht, als wir zu dem Krankenhaus gegangen sind. Für einen Augenblick ist die Sonne rausgekommen, und sie hat mit einem solchen Vertrauen zu mir hinauf gelächelt, wie ich es noch nie gesehen hatte. Ich habe eine Zeichnung von ihrem Gesicht gemacht, und die trage ich immer bei mir. Fast achtzehn ist sie jetzt. Ich wünschte, ich wünschte … Mr. Handl ist tot, glaube ich. Das bedeutet, L weiß nicht, ob ich noch am Leben oder tot bin. Und da ist noch etwas. Etwas so Schreckliches, daß ich nicht darüber nachdenken darf. Ich werde sie nie wiedersehen.
     
    Ma ist seit Ewigkeiten weg. Jemand hat sie neulich gesehen, ganz weit weg von hier, in der Amiens Street. Ich will nicht hinschreiben, was er sie genannt hat. Sie hat uns nicht gemocht, trotzdem vermisse ich sie. Jimmy war wieder fürchterlich krank. Die ganze Nacht hat er mich mit seinem Husten wach gehalten. Die Ma von M ist gestorben. Ich habe den Leichenzug gesehen. Sie sind vor einiger Zeit aus dem Haus ausgezogen. Die werd ich nie wiedersehen. Alles ist anders geworden. Gestern Abend ist Pfarrer Union die Straße raufgekommen. Er ist der Neue in der Kirche. Er sagt, er freut sich sehr, daß er wieder in Raytown ist; so nennen manche Leute Ringsend. Der ist nett, macht immer Witze und lacht. Dolly Brennan sagt, er kann gut singen. Sie ist rübergekommen, als er stehen geblieben

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