Fallende Schatten
ausgesehen wie ein spanischer Grande.
Das eigentliche Opfer war meine Schwester. Sie war acht Jahre älter als ich. Klug, ehrgeizig und darauf versessen, es in dem jungen Staat zu etwas zu bringen. Das Schicksal schien auf ihrer Seite zu sein; sie wurde 1916 geboren. Und sie war eine wahre Patriotin, glaubte leidenschaftlich an de Valera und ebenso leidenschaftlich an Irland. Sie wollte in die Politik. Sie wollte auf die Universität. Sie wollte die Welt verändern.
Und das alles hätte sie auch gekonnt, die Befähigung dazu hatte sie, aber mit fünfzehn nahm man sie von der Schule und schickte sie los, um Stenotypistin zu werden. Ich habe sie angebetet, habe sie bewundert, bin ihr williger Sklave geworden. Sie hat den Platz beider Eltern eingenommen, hat sich um mich gekümmert, meine Schlachten geschlagen. Ich bin ihr gefolgt, wohin sie mich geführt hat, war der bereitwillige Partner bei ihren Plänen. Und ihr großer Plan war es, eines Tages das Familienunternehmen vor den schlimmsten Ausschweifungen meines Vaters zu retten und es wieder zu Wohlstand zu bringen.
Auch heutzutage schenkt niemand Mädchen große Beachtung, aber in den Dreißigern war das noch viel schlimmer. Es herrschte Arbeitslosigkeit, und was an Stellen zu vergeben war, ging an die Männer, die Brotverdiener. Die wenigen Stellen, die sie bekam – sie war keine gute Sekretärin –, waren eine Art Almosen von Freunden aus besseren Tagen. Sie haßte diese Jobs, und sie haßte die Mildtätigkeit.
Ich verließ die Schule mit dreizehn und wurde Lehrling beim Meisterdrucker meines Vaters. Zur gleichen Zeit half meine Schwester, da sie keine Stelle fand, bei der Buchhaltung mit. Mit meinem Vater ging es, als er mit diesem Beweis seiner Unbeständigkeit konfrontiert wurde – als er seine Kinder in derart niedrigen Stellungen sehen mußte –, vollends bergab. Wir hielten nur durch, weil wir unsere eigenen Pläne hatten. Wir dachten, jetzt, da wir Fuß gefaßt hatten, wäre es unmöglich, uns wieder loszuwerden. Daß wir das Geschäft lernten, und zwar von Grund auf. 1937 legte sich dann mein Vater einen Partner zu. Buller Reynolds trat in unser Leben.
Sich zulegen ist genau das richtige Wort. Wir haben nie erfahren, was für einen Handel die beiden miteinander schlossen, aber wie auch immer er aussah, Buller gewann schnell die Oberhand. Merkwürdig war nur, daß er, ein derart habgieriger Mensch, keinerlei Anstrengungen unternahm, den Niedergang des Unternehmens aufzuhalten oder umzukehren. Ich habe mich seitdem immer wieder gefragt, ob er sich im Grunde nur für das Grundstück interessierte. Es lag unmittelbar neben dem Hafenbecken. Vielleicht spekulierte er darauf, daß Irland seine Neutralität aufgeben würde, wenn England Krieg führte, und unter solchen Umständen wäre eine solche Lage natürlich äußerst nützlich gewesen. Äußerst lukrativ. Mag sein. Derlei raffinierte Ideen kamen uns damals nicht in den Sinn.
Ehe wir es uns versahen, flogen wir raus. Meine Schwester, weil sie die Kühnheit besessen hatte, die eine oder andere Rechnung anzuzweifeln, ich, weil ich der Sohn meines Vaters war. Dem armen Mädchen blieb nichts anderes übrig, als Däumchen zu drehen und Rachepläne zu schmieden. Sie schwärmte davon, nach Spanien durchzubrennen – vermutlich zu Franco, wie ich sie kenne – aber glücklicherweise wurde daraus nichts.
Mich hat Joshua Handl gerettet. Hinter seinem Buchladen hatte er eine kleine Privatpresse und Buchbinderei. Er stellte limitierte Auflagen seltener Werke her. Kurz vor meinem fünfzehnten Geburtstag wurde ich Lehrling bei ihm. Das war das größte Glück, das mir je widerfahren ist. Er war ein guter Mensch und ein hervorragender Lehrmeister. Dieser Beruf war wie geschaffen für mich, damals und heute.
Für ein solches Unternehmen war Ringsend ein lachhafter Standort, aber Flüchtlinge aus Nazideutschland hatten in den Dreißigern nicht allzu viele Wahlmöglichkeiten. Außerdem war er ein ehrenhafter und bemerkenswerter Mensch und wurde von jenen, die den Weg zu seinem Laden fanden, bald als solcher erkannt. Ich sagte meiner Schwester und mir selber, daß ich jetzt eben einen anderen Zweig des Druckgewerbes erlernte. Daß dies von Nutzen sei und wir zur rechten Zeit auch ins Verlagsgeschäft einsteigen könnten. Einzig und allein aus diesem Grund willigte sie ein, daß ich für einen Juden arbeitete. Wie alle ihrer Zeit und ihres Standes war sie auf gedankenlose Weise antisemitisch.
Mein Vater trank sich
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