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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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sonst mit Sicherheit dran. Was hat sie in jener Nacht gesehen? Wenn sie schon gesehen hat, wie ich die Werkzeugtasche fallen lassen habe, was hat sie dann sonst noch gesehen? Ich habe nicht gewußt, wie sehr sie in Gefahr war. Kein Wunder, daß die es gar nicht erwarten konnten, mich loszuwerden. Ich drehe noch durch, solche Sorgen mache ich mir. Mein Kopf brennt. Vollgestopft mit Tod und Schmerz und Verrat. Letzte Nacht bin ich schreiend aufgewacht. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
     
    1945. Die haben uns aus Nummer 8 rausgeschmissen. Haben gesagt, das Haus sei verwanzt. Da hab ich lachen müssen. Das war seit Jahren verwanzt. Wir haben jetzt ein Zimmer über Mrs. Heaneys Laden, bis ich Boden unter die Füße kriege. Ich wünschte, der alte Mr. Handl wäre nicht tot. Ich vermisse ihn immer noch. Was die anderen sagen, ist mir egal. Er war ein großartiger Mensch. Er hat mir das Leben gerettet.
    Ich bin jetzt neunzehn, aber ich komme mir uralt vor. Vorne auf meinem Kopf habe ich zwei graue Haare entdeckt. Jimmy geht es ganz gut, aber er ist immer noch sehr klein. Der scheint überhaupt nicht mehr zu wachsen. Aber er ist sehr brav und ruhig. Fast kann er meinen Namen sagen. Niemand anderer versteht ihn, aber ich schon. Und er hat das liebste Lächeln auf der Welt. Ich weiß nicht, was ich ohne ihn machen würde. Schwester Clare kommt immer noch jede Woche. Wenn sie nicht wäre, würden wir verhungern.
    Manchmal glaube ich, es wäre leichter, einfach am Strand entlang und hinaus ins Wasser zu gehen und nie mehr zurückzukommen. Die Leute sagen, M ist tot. Ich habe es nur so nebenbei gehört, als ich in einem Laden in Sandymount gestanden bin. Eine alte Klatschbase am Ladentisch hat »all die irischen Jungs aus der Gegend, die ihr Leben für Seine Majestät geopfert haben«, aufgezählt. In Westengland. Ich habe gar nicht auf sie geachtet, aber dann habe ich seinen Namen gehört. Als tot registriert. Registriert. Das bedeutet nicht, daß es sicher ist, oder?
     
    1948. Dafür, daß ich tot bin, geht es mir ganz gut. Nach Belgien hatte ich einen Nervenzusammenbruch. Ein Beschuß zu viel, ein Urlaub zu wenig. Ich hab einfach aufgegeben. Bin für eine Weile verrückt geworden. Ich bin auf die Kerle aus Belfast los, die mich fertigmachen wollten. Aber ich war nur ein paar Wochen im Lazarett. Die hatten dringlichere Fälle als Durchgedrehte. Dann bin ich nach London und habe eine Stelle beim britischen Staatsverlag bekommen, hatte ein möbliertes Zimmer draußen in Pimlico. Ein paar Monate später bin ich wieder in ein Pflegeheim – ein Irrenhaus – gekommen. Das in derselben Nacht von einer V2 getroffen worden ist. Und so habe ich außer meinem Kopf auch noch ein Bein verloren. Ameisenlöwen haben sie die genannt. So ein harmloser Name für diese leisen, tödlichen Bomben. Zehn Leute wurden getötet, ich wurde unter sie gerechnet. Wundervoll, nicht wahr? Tot und ein Bein verloren. Wenn ich nicht schon verrückt wäre, jetzt würde ich es bestimmt.
    Die Nachricht wurde weitergeleitet, und die Hinterbliebenen verständigt. Womit mein Fall endgültig zu den Akten gelegt ist, oder? Einen Toten können sie nicht jagen. Die Sache ist nur, ein Toter nützt Lily nichts.
    Das alles habe ich erst ungefähr ein Jahr später erfahren. Ich war ziemlich schwer verletzt. Drei Operationen hat es gebraucht, um genug von dem Bein zu amputieren. Dann ist es zu Komplikationen wie Blutvergiftung gekommen. Andere Sachen habe ich auch nicht mitgekriegt. Die grausigen Berichte, als sie die Lager gefunden haben, Bergen-Belsen, Auschwitz, Dachau. Da mußte ich an den alten Josh denken und wie wenig er von München erzählt hat. Er hatte dort Kinder und Enkelkinder.
    Fast zwei Jahre hat es gedauert, bis ich sozusagen wieder auf dem Bein war, und noch einmal ein halbes Jahr, ehe ich es geschafft habe, eine Stelle zu kriegen und zu behalten. Alles wäre in Ordnung, wenn ich nur Verbindung mit Lily aufnehmen könnte. Ich habe ihr endlich geschrieben, in die Daedalian Road. Das hätte ich schon vor Jahren machen sollen. Aber ich hatte Angst, wer auch immer der neue Hausbesitzer war, würde den Brief abfangen. Weiß Gott, was ich gedacht habe. Ich hätte mehr Vertrauen zu ihr haben sollen. Sie hätte mich nicht verraten. Meine Adresse habe ich nicht angegeben, sondern mir, für alle Fälle, eine Postfachnummer besorgt, in London. Der Brief ist zurückgekommen. Haus abgerissen, Bewohner umgesiedelt. Keine Nachsendeadresse. Ich habe gewußt, es war

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