Fallende Schatten
aussichtslos. Aus lauter Verzweiflung habe ich Mr. Handl geschrieben, aber der Brief ist ebenfalls zurückgekommen. Adressat verstorben. Ich hatte also recht. Der arme Josh ist tot. Aber ich schließlich und endlich auch. Ich muß mir sicher sein, wo ich stehe, ehe ich etwas Weiteres unternehme.
Mai 1951. Zehn Jahre. M ist tot, jetzt muß ich es glauben. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin die einzige Überlebende. Fünfundzwanzig bin ich jetzt und habe eine Stelle bei Cassidy’s in der George’s Street. Dort mache ich Änderungen. Und ich habe ein hübsches kleines Zimmer in der Harcourt Street.
Nächsten Monat ist es drei Jahre her, daß Jimmy gestorben ist. Er hat immer noch wie ein kleines Kind ausgesehen, obwohl er fast zehn war. Ich habe ihn bei mir behalten, solange ich konnte. Das Loch in der Daedalian Road war schrecklich, aber wir haben gewußt, wo wir hingehörten. Als Mrs. Reynolds nach Kriegsende weg ist, wurden die Häuser mit Brettern vernagelt. Kein Mensch konnte uns sagen, wer der neue Hausbesitzer war. Ein Rechtsanwalt vom Merrion Square war dafür zuständig, aber mit unsereiner wollte er nichts zu tun haben.
Der arme Jimmy konnte sich einfach nicht eingewöhnen, als wir zu Mrs. Heaney gezogen sind. Und sie hat sein Schreien nicht ausgehalten. Ein paar Wochen später habe ich ihn nach Hause zurückgekarrt, in die Nummer acht. Da haben immer noch Leute gewohnt. Nicht alle sind ausgezogen, als man es ihnen gesagt hat. Ganz langsam ist es mit ihm zu Ende gegangen. Über ein Jahr hat sich das hingezogen. Ohne Schwester Clare hätte ich das nie durchgestanden.
In dem Winter hat er wieder eine Erkältung bekommen, und die ist er nicht mehr losgeworden. Im Januar hat Schwester Clare gesagt, wir müssen ihn ins Krankenhaus bringen. Eine Woche lang war er in der Baggot Street, und anschließend schien es ihm eine Zeit lang prima zu gehen, aber schon bald hat die Husterei wieder angefangen und die langen Nächte, in denen er die ganze Zeit geweint hat. Eines Tages ist sie zusammen mit einer Frau in einem Auto gekommen und hat gesagt, sie würde mir gerne einen Ort zeigen, wo man Jimmy helfen könnte.
Ich wollte nicht da hin. Ich war müde, in der Zeit habe ich nicht viel Schlaf abbekommen. Der Wagen war klasse. Wir sind weit gefahren, hinaus zum Mount Merrion nach Stillorgan zu St. Augustine. Man nennt es die Kolonie; es wird von den Hospitalitern geleitet. Da gibt es eine Menge solcher Jungen wie Jimmy. Sie bringen ihnen alles mögliche bei. Und schrecklich sauber ist es da, und das Grundstück! Wunderschöne Bäume, ein riesiges Denkmal, Gärten. Noch nie hatte ich so was gesehen. Wunderschön.
Der Bruder war nett, Feargal heißt er. Er ist lange bei Jimmy gesessen und hat mit ihm geredet, als könnte der ihn verstehen. Sie haben einen Doktor geholt, um Jimmy zu untersuchen. Davon hat er nicht viel gehalten, das kann ich Ihnen sagen. Er hat den Mann einfach vollgepißt. Ich wäre fast geplatzt vor Lachen. Ehe wir weg sind, hat Bruder Feargal gesagt, Jimmy wäre jederzeit willkommen. Ich habe gesagt, ich komme schon zurecht, vielen Dank.
Ungefähr einen Monat später habe ich schließlich nachgegeben. Schon Jahre zuvor hätte ich das machen sollen. Die waren derart nett zu ihm. Vielleicht hätten sie ihm, wenn er früher zu ihnen gekommen wäre, helfen können, gehen oder sprechen zu lernen? Das macht mir manchmal Sorgen. Daß ich ihn nicht hergeben wollte. Der arme kleine Kerl war völlig fertig von alldem, was er durchgemacht hatte. Ein Krankenwagen ist gekommen. Hat in der Daedalian Road für einen ziemlichen Aufruhr gesorgt, das kann ich Ihnen sagen.
Ich werde nie vergessen, wie ich zum ersten Mal hin bin, um ihn zu besuchen. Er war auf dem Krankenrevier. Die Brüder waren alle in Weiß, und auch alles andere war weiß. Nach unserer Bruchbude war das wie ein Schneepalast. Der kleine Jimmy ist in einem Bett mit wunderschönen weißen Laken bis zum Kinn gelegen. Sie hatten ihm die Haare gewaschen. Sie haben auf dem Kissen geglänzt wie Gold. Wie eine kleine Puppe hat er ausgesehen. Er hat die Arme nach mir ausgestreckt. Ich hätte neben ihm in seinem Bett schlafen können, so groß war es und so geräumig. Und so sauber. Genau das will ich. Ein Haus, in dem alles sauber ist. Hell, weiß oder wunderschöne Farben. Es kann gar nicht schnell genug gehen, daß ich dieses schmutzige Grün oder Braun nie mehr wieder sehe.
Für mich hat Schwester Clare ein Zimmer in der Nähe von St.
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