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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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zu Tode. Drei Jahre nach dem teuflischen Handel mit Reynolds war er tot. Er starb ein paar Monate nach der Kriegserklärung. Jetzt endlich, so dachten wir, wären wir in der Lage, erneut die Kontrolle zu übernehmen. Rein technisch gesehen hatte ich als der einzige Sohn das Unternehmen geerbt. In Wirklichkeit hatten meine Schwester und ich einen Pakt geschlossen, gleichberechtigte Partner zu sein. Sie sollte lernen, wie man das Unternehmen führt, während ich mich um das Handwerkliche kümmerte.
    Wie Lämmer zur Schlachtbank, so gingen wir zu Buller Reynolds, um ihm unsere Pläne mitzuteilen. Als er zu lachen aufgehört hatte, schluckte er die Firma und spuckte uns aus. Binnen zwei Minuten waren wir wieder aus seinem Büro draußen. Zeit genug für ihn, um uns zu erklären, von Partnerschaft könne keine Rede sein. Nur Reynolds. Das war es, was er gewollt hatte, was mein Vater beabsichtigt hatte. Ende der Geschichte. Noch am gleichen Nachmittag erschien der neue Name auf dem Firmenschild.
    Mir war der Sinn nie nach Kämpfen gestanden, und ich machte mir keine Illusionen über meine Chancen gegen Reynolds. Ich vermutete sogar schon damals, mit ihm wären wir nicht weit gekommen, und Feigling, der ich nun mal bin, fand ich mich mit dem ab, was geschehen war.
    Ich weiß nicht, wie lange meine arme Schwester dazu brauchte. Aber für sie war es viel schlimmer. All ihr gescheiterter Ehrgeiz war auf diese eine Möglichkeit gerichtet gewesen, etwas zu tun, das der Mühe wert war, ihrer Familie zu helfen, es zu etwas zu bringen. Sie war abgrundtief verzweifelt, untröstlich. Sie wütete gegen das Schicksal, gegen meinen verschwendungssüchtigen Vater und meine arme törichte Mutter, die dachte, die Welt sei untergegangen, weil sie kein Konto mehr bei Brown Thomas hatte. Sie wurde fast verrückt vor Enttäuschung.
    Als sie eine Stelle als Verkäuferin in der Abteilung für Unterwäsche bei Clerys annahm, wußte ich, sie hatte aufgegeben. Ein riesiges, nüchternes Warenhaus in der Hauptstraße der Innenstadt. Die Bezahlung war bescheiden, die Ware entsprach nicht ihrem Geschmack. Das Ganze schien eine Übung in Demütigung zu sein. Aber da hatte ich mich getäuscht. Binnen eines Monats saß sie im Buchhaltungsbüro und lernte, so behauptete sie, von Grund auf, wie man ein großes, erfolgreiches Unternehmen leitet. Sie war überwältigend.
     
    1952. Neulich hat Rose mich besucht. Sie hat einen kleinen Laden in der Wicklow Street aufgemacht, Qualitätsschneiderei für Damen. Martin ist für die Zustellungen und die Buchhaltung zuständig; er ist schon vor Jahren aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Zu weichherzig, um Leute einzusperren, der arme Martin. Rose will, daß ich zu ihr komme und Änderungsarbeiten mache. Ich weiß nicht so recht.
    Zuerst war ich Feuer und Flamme, aber wenn ich es mir genauer überlege, bin ich mir nicht mehr sicher. Zu viele Erinnerungen. Sie würde nach Jimmy fragen und vielleicht sogar nach M. Wenn ich den Namen Daedalian Road noch mal hör, krieg ich das Kotzen. Außerdem kann sie mir nicht soviel zahlen wie Cassidys, und das ist, weiß Gott, wenig genug. Nein, ich bin nicht ganz ehrlich. Ich war ein bißchen verärgert, weil sie offenbar meint, daß ich nur Änderungen machen kann. Wenn mich noch mal jemand bittet, einen Mantel zu wenden, schmeiße ich das Ding aus dem Fenster.
    Mir gefällt der New Look sehr. Hat ein bißchen gedauert, bis ich in Sachen Mode aufgeholt hab. Er ist 1947 aufgekommen. Aber schließlich hatte ich damals ganz andere Sachen im Kopf als Mode, damals, als Jimmy so krank war und all das. Für die Mädchen in der Arbeit hab ein paar von diesen Dior-Kleidern nachgeschneidert. Die sind wunderbar fürs Tanzen, schön weit schwingende Röcke. Und viel einfacher zu schneidern als Kostüme. Ich habe vor, mich irgendwann selbstständig zu machen. Aber jetzt noch nicht, das Geld hab ich nicht. Einmal in der Woche gehen die Mädchen und ich zum Tanzen. Sie bringen mir das Tanzen bei und sagen, alles, was ich brauche, ist ein bißchen Übung.
    Ich habe den Entschluß gefaßt, nicht länger den Kopf hängen zu lassen. Ich glaube, als ich um meinen kleinen Bruder getrauert habe, da habe ich auch um M getrauert. Es heißt, er ist im Krieg gefallen, wie Tausende anderer irischer Jungs. Komisch – ich hab nie das Gefühl gehabt, daß er tot ist.
    1953. Die asiatische Grippe hat die Leute umfallen lassen wie die Fliegen. Mein Zimmer war den ganzen Winter über eiskalt, ich krieg es

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