Fallende Schatten
geschickt, sie hat gesagt, Sie würden das kurzfristig erledigen.« Sie hatte einen wunderschönen roten Rock, bei dem der Saum rausgelassen werden mußte. Ich war von ihrem Anblick so überwältigt, daß ich versprochen habe, ihn auf dem Weg zur Arbeit in Roses Laden zu bringen. Ich bring Rose um, weil sie sie hierher geschickt hat. Privatleben hab ich hier sowieso fast keines. Gott sei Dank hat sie keine Ahnung gehabt, wer ich bin. Für die werd ich nicht mehr arbeiten. Das wär’s dann also gewesen. Armer M. Ich glaub nicht, daß er überhaupt tot ist. Gott, ich wünschte, ich hätte keinen so dummen Kopf.
Januar 1958. Ich hab ein anderes Zimmer gefunden. In der Haddington Road, weiter weg von der Arbeit, aber da kann man nichts machen. Ich werd auch versuchen, eine andere Stelle zu kriegen. Von Rose halt ich mich fern. Ich hab ihr fast den Kopf abgerissen, weil sie die Frau zu mir geschickt hat. Sie glaubt, das ist, weil ich mich dafür schäme, wie ich hausen muß. »Du bist zu stolz, Lily, solche Leute könnten dir helfen.« Von wegen. Jedenfalls reden wir nicht mehr miteinander. Ich hab ihr gesagt, sie soll ihr lausiges Geld behalten. Ich weiß, M werde ich nie wiedersehen. Es tut nicht mehr so weh, jetzt, wo ich weiß, es war nicht, weil er mich nicht sehen wollte.
Juni 1957. Die Vergangenheit liegt hinter mir. Ich heirate, in Frankreich, nächste Woche. Claudine ist vorausgefahren; vor vierzehn Tagen ist sie weg. Manchmal kommen nachts die alten Zeiten zurück, und ich habe wieder Angst. Ich habe ihr nichts davon erzählt, was hätte das auch für einen Sinn? Sie weiß, im Krieg waren meine Nerven völlig zerrüttet, aber sie ist so mutig. Vielleicht habe ich auch das hinter mir? Ich habe keinen Nervenzusammenbruch mehr gehabt, seit ich sie kennengelernt habe. Das mit dem Bein macht ihr nichts aus. Sie macht mich glücklich. Wenn sie nicht hier ist, kommt die Dunkelheit. Wir werden bei ihren Eltern wohnen. Sie haben einen Bauernhof, und ich werde mithelfen. C sagt, da sie nie mehr als die zwölf Sätze Englisch lernen wird, die sie auswendig kann, wären wir dort, wo wir beide die Sprache sprechen können, besser dran. Ich werde ein neues Leben beginnen, sie glücklich machen. Sie glaubt, daß sie vielleicht schon schwanger ist. Ich hoffe es. Das wäre wirklich ein neuer Anfang. Zum ersten Mal seit Jahren habe ich gebetet, daß alles gut wird für uns. Manchmal habe ich solche Angst.
März 1957. Ich hab das neue Zimmer gestrichen. So ist es viel hübscher, viel lebendiger. Zwar bin ich nicht so scharf auf Weiß, aber das war das Billigste, und zumindest sieht es sauber aus. Demnächst nähe ich Vorhänge. Leuchtend rosa, jawohl. Leb gefährlich, das ist mein Motto. Hier in dem Haus gibt es nur vier möblierte Zimmer, das andere sind zwei Wohnungen, also sind wir nur vier, die sich das Badezimmer teilen. Ein bißchen eine Verbesserung. Wenn ich mit dieser Geschwindigkeit weitermache, habe ich mit vierzig mein eigenes. Ich wünschte, ich würde einen netten Kerl kennenlernen. Irgendwie bin ich nie so recht interessiert daran. Aber eine alte Jungfer will ich auch nicht werden.
1960. Ich habe mich bei der Modezeichnerin für Collette Moden vorgestellt. Miss Hayes heißt sie. In zwei Wochen fange ich dort an, damit ich meine Kündigungsfrist einhalte. Dort lerne ich dann Schnittmuster machen. Ich bin überglücklich. Achtzehn Shilling mehr die Woche. Ich glaube, ich bin so verrückt und kauf mir ein paar Möbel. Die könnte ich in wöchentlichen Raten abzahlen.
April 1961. Lange hab ich hier nichts mehr reingeschrieben. Ich bin noch einmal befördert worden, und demnächst werde ich Klamotten – Entschuldigung: Gewänder – für die Kunden schneidern. Ich mag die Arbeit sehr. Außerdem bin ich in eine von den Wohnungen im unteren Stockwerk gezogen. Sie besteht aus einem kleinen Schlafzimmer, einem Bad und einer Küche mit Eßecke. Klingt großartiger, als es ist. Und kostet mehr, als ich mir leisten kann, aber ich würde sie für nichts in der Welt eintauschen. Ich hab alles wunderschön ausgemalt und noch mehr Vorhänge genäht. Passen ganz gut zu den anderen. Und ich hab sogar für ein altes Sofa, das ich in dem Gebrauchtwarenladen ein Stück weiter die Straße runter billig gekriegt hab, einen Überwurf gemacht.
Frank hat mir eine wunderschöne Kommode gezimmert. Vor ungefähr einem Jahr hab ich ihn kennengelernt. Er ist Schreiner, der Bruder von einer Frau, mit der ich zusammenarbeite, und
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